04.01.2016Europäische Union Alexander Graf Lambsdorff plädiert für ein Festhalten an europäischen Prinzipien

Mit Blick auf die Krisen der vergangenen Jahre und die anstehenden Herausforderungen hat Alexander Graf Lambsdorff seine Hoffnungen auf ein gutes Jahr für Europa bekräftigt und vor einem Erstarken radikaler Kräfte jeglicher Couleur gewarnt. Ein entscheidender Punkt sei, 'dass wir in Europa die alten Gespenster wieder dorthin schicken, wo sie hingehören, nämlich auf den Kehrichthaufen der Geschichte', unterstrich der Vizepräsident des EU-Parlaments im 'Deutschlandfunk'-Interview.

Es gelte, die Bedrohung für den Zusammenhalt der EU durch den Rechts- sowie durch den Linkspopulismus abzuwenden, machte Lambsdorff klar. Dafür müsse es der politischen Mitte gelingen, Erfolge vorzuweisen. 'Ich nehme mal das Beispiel Italien. Da ist mit Matteo Renzi ein gemäßigter Politiker dabei, das Land umzukrempeln', erläuterte er.

Lambsdorff forderte außerdem einen bedachten und prinzipienfesten Umgang mit dem Vereinten Königreich, das über Bedingungen für einen Verbleib in der EU mit Brüssel verhandelt. 'Ich würde mir wünschen, dass die Briten dabei bleiben und sich dann konstruktiv in Europa einbringen, einerseits. Andererseits muss man auch Folgendes sagen: Wenn Großbritannien sich souverän entscheidet, ein neues Verhältnis zum Kontinent aufzubauen, dann müssen wir damit leben.' Bei ihren Grundverabredungen dürfe die EU nicht nachgeben. Eines sei klar: 'Großbritannien wird uns als Land ja erhalten bleiben, selbst wenn es nicht Mitglied der Europäischen Union sein sollte.'

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Ein 'schreckliches Jahr' hat EU-Parlamentspräsident Schulz das Jahr 2015 genannt. Wird 2016 denn besser?

Ich will hoffen, dass es besser wird. Das hoffen wir ja letztlich alle, denn 2015 war wirklich ungewöhnlich. Aber eines ist dabei wirklich entscheidend: Dass wir in Europa die alten Gespenster wieder dorthin schicken, wo sie hingehören, nämlich auf den Kehrichthaufen der Geschichte, wenn man so will.

Wir haben eine Bedrohung in Europa, in zahlreichen Mitgliedsstaaten, durch Nationalismus, durch rechtspopulistische Bewegungen ja auch bei uns zum ersten Mal. Und wir haben auf der anderen Seite den Sozialismus, der jetzt wieder kommt, linksradikale Bewegungen, linkspopulistische Bewegungen. Dazwischen kann Europa zerrieben werden, und da müssen wir drauf achten, dass das nicht passiert.

Und wer oder was soll die Gespenster, was sagten Sie, zurückschicken in die Kiste?

Ich glaube, das kann nur dadurch gelingen, dass es der politischen Mitte in Europa gelingt, Erfolge vorzuweisen. Ich nehme mal das Beispiel Italien. Da ist mit Matteo Renzi ein gemäßigter Politiker dabei, das Land umzukrempeln. Wenn der das schafft, wenn der Reformerfolge hat, dann kann es vielleicht auch gelingen, so eine Bewegung wie die von diesem Beppe Grillo, im Grunde ja ein Linkspopulist, wieder vielleicht in die Schranken zu weisen, weil die Bürgerinnen und Bürger sehen, dass es auch mit gemäßigter Politik gelingt, Erfolge zu erzielen.

Wenn wir jetzt noch mal bei Großbritannien bleiben, da, wie gesagt, wird das Referendum wohl kommen, 2016 nach den letzten Andeutungen von Cameron. Was wäre denn daran so schlimm, wenn die Briten gingen?

Da schlagen in meiner Brust zwei Herzen. Als Liberaler sage ich ganz klar, die Engländer sind welche, die wir dabei haben wollen. Das ist ein marktwirtschaftlich orientiertes Land mit einer toleranten Gesellschaft und einer vorbildlichen Demokratie. Als Europapolitiker sage ich Ihnen, die sind schon ziemlich mühsam. Die blockieren ja an vielen Stellen, da, wo man in Europa auch sinnvollerweise Fortschritte machen könnte - verbesserte Geheimdienstkoordination, verbesserte europäische Außenpolitik und so weiter.

Ich würde mir wünschen, dass die Briten dabei bleiben und sich dann konstruktiv in Europa einbringen, einerseits. Andererseits muss man auch Folgendes sagen: Wenn Großbritannien sich souverän entscheidet, ein neues Verhältnis zum Kontinent aufzubauen, dann müssen wir damit leben, dann müssen wir Verhandlungen führen mit den Briten, und dann muss man eines ganz klar sehen: Großbritannien wird uns als Land ja erhalten bleiben, selbst wenn es nicht Mitglied der Europäischen Union sein sollte.

Die Briten wollen ja sozusagen an die Grundverabredungen der EU ran, das wollen sie reformieren. Sie wollen Einschnitte bei der Freizügigkeit erreichen, wollen Sozialleistungen für EU-Migranten kürzen. Wenn Europa an der Stelle Großbritannien entgegenkäme, wäre das nicht auch wiederum ein Zeichen für Krise?

Absolut. Und ich bin sehr beunruhigt über Nachrichten, dass offenbar die Bundesregierung, das Bundeskanzlerin Merkel Cameron genau hier nachgeben will, und ich glaube, das wäre ganz falsch. Wir haben die sogenannte Unionsbürgerschaft, das heißt, alle EU-Bürger können sich darauf verlassen, dass sie nicht diskriminiert werden, wenn sie in einem anderen Land der Europäischen Union leben. Genau das will Cameron.

Cameron will, dass Leute, die in Arbeit, also in Lohn und Brot stehen, weniger Zugang zu Sozialleistungen haben, weniger Zugang auch zu ganz normalen Leistungen des Staates, die ihm dort geboten werden. Und das ist eine Verletzung der Unionsbürgerschaft, die übrigens Angela Merkels Vorgänger Helmut Kohl mit ausgehandelt hat. Also, das wäre wirklich die Axt an die Wurzel der europäischen Integration.

Und wir sind beim Großthema Solidarität. Großthema, weil die Frage ist, wie viel Solidarität überhaupt noch da ist in Europa. Da gehen auch Blicke nach Polen, die Entwicklung da, nachdem die rechtskonservative PIS einen Durchmarsch hingelegt hat, die füllen auch viele mit Sorge. Wie ist Ihre Einschätzung da?

Die polnische Politik ist natürlich alles andere als erfreulich, um das mal sehr diplomatisch auszudrücken. Was dort mit dem Verfassungsgericht geschieht, was jetzt gerade im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geplant wird, die Absetzung kritischer Journalisten und die Ersetzung durch linientreue - das sind alles Dinge, die einen wirklich nicht erfreuen können.

Das Thema Solidarität ist etwas komplizierter. Wir dürfen eines nicht vergessen: Da, wo jetzt Deutschland die Europäer um Solidarität bittet, da haben wir in der Vergangenheit auch oft anderen die kalte Schulter gezeigt. Wir wissen seit Lampedusa, dass die Flüchtlingskrise, wenn sie wirklich ernst wird, nicht mit den bestehenden Maßnahmen zu bewältigen ist. Rom und Athen haben immer wieder darauf hingewiesen - da haben wir keine Solidarität gezeigt. Also, wir sollten nicht mit erhobenem Zeigefinger durch die Gegend laufen, sondern wir sollten Solidarität auch dann praktizieren, wenn sie von uns verlangt wird.

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