Keine Entwarnung / Kommentar zur Inflationsentwicklung in Deutschland
von Mark Schrörs.
Frankfurt/M. (ots) - Nach der - negativen - Rekordjagd im Jahr 2021 hat die
deutsche Inflation zum Ende des Jahres etwas nachgegeben; zumindest, wenn man
den für den EU-Vergleich berechneten und für die EZB relevanten HVPI-Preisindex
zugrunde legt. Viele EZB-Granden wird das wohl in ihrer Sicht bestärken, dass
der rasante Preisanstieg nur temporär war und nun zu einem Ende kommt.
Tatsächlich dürfte der Höhepunkt erreicht sein. Für Entwarnung ist es
trotzdem
ganz gewiss viel zu früh - und das nicht nur, weil die Inflation in nationaler
Rechnung (VPI) unerwartet noch zugelegt hat.

Nach den satten 6,0% im November ist die Inflationsrate gemäß HVPI nun im
Dezember leicht auf 5,7% zurückgegangen. Im Januar dürfte es sogar noch
deutlicher nach unten gehen, weil der Mehrwertsteuereffekt aus der Berechnung
herausfällt - was bis zu einen Prozentpunkt ausmachen könnte. Trotzdem ist
keineswegs alles gut: Insbesondere die explosionsartig gestiegenen Gas- und
Strompreise werden den Inflationsdruck Anfang 2022 hochhalten. Zudem ist die
hohe Teuerung längst kein singuläres Problem mehr, sondern gewinnt zusehends an
Breite. Die Raten dürften zumindest im ersten Halbjahr bei 3% bis 4% verharren.
Damit wächst die Gefahr, dass die Inflation wie in den USA auch in Europa zum
hartnäckigen Problem wird.

Das größte Risiko ist sicher, dass mit anhaltend hohen Inflationsraten der Ruf
nach steigenden Löhnen immer lauter wird und doch noch eine gefährliche
Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt. Bislang ist davon wenig zu sehen, aber
Wortmeldungen wie jene der mächtigen IG Metall, dass in den anstehenden
Tarifrunden höhere Löhne im Mittelpunkt stehen müssten, um Reallohnverluste zu
vermeiden, sind ein Warnsignal. Das muss auch die EZB verstehen. Ja, viele der
aktuellen Preistreiber entziehen sich ihrer Kontrolle. Aber nein, das bedeutet
nicht, dass sie sich zurücklehnen darf. Sie muss klarmachen, dass sie
Zweitrundeneffekte keinesfalls zulässt. Das heißt auch, wenn nötig
entschlossener aus der ultraexpansiven Geldpolitik auszusteigen.

Damit ist auch umrissen, vor welch großer Aufgabe der neue Bundesbankpräsident
Joachim Nagel steht: In Deutschland muss er einerseits Aufklärungsarbeit leisten
über den aktuellen Inflationstrend, ohne andererseits beschwichtigend
daherzukommen. Sonst drohen eine Kluft zwischen Bevölkerung und Notenbank und
stark anziehende Inflationserwartungen. Und im EZB-Rat muss er für mehr
Wachsamkeit gegenüber der Inflationsgefahr streiten, ohne sich zu isolieren. Das
sind immense Herausforderungen - aber Nagel bringt sehr vieles mit, sie zu
bewältigen.

(Börsen-Zeitung, 07.01.2022)

Pressekontakt:

Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de

Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/30377/5115337
OTS:               Börsen-Zeitung