Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Steuern und Finanzen zählen zu den Feldern, die für jede Bundestagswahl im Fokus der Auseinandersetzung stehen. Bei der Wahl am 26. September wird das Thema angesichts zunehmender Kosten für den Klimaschutz und Belastungen durch die Coronavirus-Pandemie besonders ins Zentrum rücken. Denn die bisherigen Koalitionspartner Union und SPD wollen in der Steuer- und Finanzpolitik unterschiedliche Wege gehen. Die Grünen als dritte Partei, die nach der Wahl möglicherweise eine Regierung anführen könnte, planen ein Abrücken von der Schuldenbremse zugunsten einer massiven Investitionsoffensive.


   Steuern runter oder hoch 

Generell deuten sich in der Steuerpolitik Schnittmengen zwischen den Parteien an, die ein Schlaglicht auf mögliche Koalitionen und deren Knackpunkte werfen. Während CDU und CSU genau wie die FDP auf Steuersenkungen setzen und insbesondere die Wirtschaft weiter ankurbeln wollen, sprechen sich die Sozialdemokraten für eine höhere Besteuerung hoher Einkommen und eine Vermögenssteuer aus - ein Plan, in dem sie sich mit Grünen und Linken einig wissen.

Im Wahlkampf kam es über das Steuerthema bereits zu einer heftigen Kontroverse zwischen den Parteien. Besonders SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz griff die Steuersenkungspläne der Union scharf an, weil sie die hohen Finanzlasten der Corona-Krise außer Acht ließen und vor allem Unternehmen und Besserverdiener begünstigten.

Der Bundesfinanzminister nannte diese Pläne von CDU und CSU deshalb "nicht nur unfinanzierbar, sondern aus meiner Sicht auch unmoralisch". Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet forderte von Scholz wiederum provokant eine Antwort auf die Frage: "Will er die Schuldenbremse aussetzen?".

Laut ihren Wahlprogrammen verfolgen die Parteien folgende Pläne:


1. CDU/CSU 

Die Union will nach einer Überwindung der Corona-Krise so schnell wie möglich wieder zurück zur schwarzen Null im Haushalt. CDU und CSU haben in ihrem gemeinsamen Wahlprogramm festgeschrieben, dass es keine Steuererhöhungen geben soll - im Gegenteil soll es steuerliche Entlastungen für Bürger und Unternehmen geben.

Die Union will den Solidaritätszuschlag auch für Besserverdienende abschaffen, kleine und mittlere Einkommen durch Verschiebung der Steuerstufen entlasten und im Zuge eines "Entfesselungspakets" für die Wirtschaft unter anderem die Unternehmenssteuern bei höchstens 25 Prozent festschreiben.

Die Union bekennt sich zur grundgesetzlichen Schuldenbremse und lehnt Grundgesetzänderungen zu ihrer Aufweichung ab. Mit dem Ende der Corona-Pandemie soll es einen "Kassensturz" für die öffentlichen Haushalte geben, der in einen "Fahrplan für Investitionen in Wachstum, gezielte Entlastungen und ausgeglichene Haushalte" münden soll.


2. SPD 

Die SPD will "die verfassungsrechtlich möglichen Spielräume zur Kreditaufnahme nutzen", lehnt also die schwarze Null im Haushalt ab. Aufgenommen werden sollen weiterhin Schulden innerhalb der Grenzen der Schuldenbremse. "Eine Politik der Austerität nach der Krise wäre ein völlig falscher Weg. Wer diesen Weg verfolgt, setzt unsere Zukunft aufs Spiel oder will harte Einschnitte in den Sozialstaat", erklären die Sozialdemokraten.

Angekündigt wird eine Einkommenssteuerreform, "die kleine und mittlere Einkommen besserstellt, die Kaufkraft stärkt und dafür im Gegenzug die oberen 5 Prozent stärker für die Finanzierung der wichtigen öffentlichen Aufgaben heranzieht".

Ein Aufschlag von 3 Prozentpunkten zur Einkommenssteuer soll bei Verheirateten für den zu versteuernden Einkommensanteil über 500.000 Euro und bei Ledigen ab 250.000 Euro im Jahr gelten. Der Solidaritätszuschlag soll weiter für Spitzenverdiener erhoben werden. Das Ehegattensplitting will die SPD für neu geschlossene Ehen zugunsten einer Kindergrundsicherung abschaffen.

Auch soll die steuerliche Abzugsfähigkeit von Managergehältern begrenzt und eine Vermögenssteuer von 1 Prozent erhoben werden. "Die Grundlage von Betrieben wird bei der Vermögenssteuer verschont", kündigt die Partei an.


3. Grüne 

Die Grünen planen eine Investitionsoffensive über 500 Milliarden in den kommenden zehn Jahren. Den nächsten Bundesetat will die Partei dabei "zu einem Klimaschutzhaushalt machen".

Zur Finanzierung sollen Zukunftsinvestitionen von der Berechnung der Schuldenbremse ausgeklammert werden. Ausgeglichen werden soll dies durch eine höhere Wirtschaftsleistung, die durch die zusätzlichen Investitionen angekurbelt wird. Auch sollen umweltschädliche Subventionen abgebaut und das Steuersystem schrittweise umgebaut werden.

Zur Entlastung mittlerer und kleiner Einkommen wollen die Grünen den Grundbetrag bei der Einkommenssteuer erhöhen. Im Gegenzug soll der Spitzensteuersatz steigen. Vorgesehen sind zwei Stufen: eine Erhöhung um 3 Punkte auf 45 Prozent ab 100.000 Euro Jahreseinkommen für Alleinstehende und 200.000 Euro für Paare sowie auf 48 Prozent ab 250.000 bzw 500.000 Euro.

Zudem soll eine Vermögenssteuer für Vermögen über 2 Millionen Euro erhoben werden von 1 Prozent pro Jahr und Person. "Begünstigungen für Betriebsvermögen werden wir im verfassungsrechtlich erlaubten und wirtschaftlich gebotenen Umfang einführen", so die Grünen.

Untere und mittlere Einkommen will die Partei auch durch die Einführung einer Kindergrundsicherung und durch ein Energiegeld entlasten.


4. FDP 

Die FDP fordert ein grundlegendes Umdenken in der Steuerpolitik. "Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger spürbar entlasten und damit die unabdingbare Voraussetzung für Impulse in die wirtschaftliche Erholung unseres Landes schaffen", heißt es in ihrem Wahlprogramm. Die Abgabenbelastung soll für Arbeitnehmer und Arbeitgeber wieder auf unter 40 Prozent sinken.

Bei der Einkommenssteuer soll in einem "Chancentarif" der Spitzensteuersatz schrittweise mit dem Ziel verschoben werden, dass er erst ab einem Einkommen von 90.000 Euro greift. Der Solidaritätszuschlag soll auch für Besserverdienende wegfallen.

Die Liberalen wollen die Steuerbelastung von Unternehmen auf rund 25 Prozent senken. Dabei soll der "deutsche Sonderweg" einer Gewerbesteuer beendet werden. Eine Verschärfung der Erbschaftsteuer oder die Wiedereinführung der Vermögensteuer lehnen sie ab.

Jedoch sollen aus Sicht der Liberalen "überflüssige Bagatell- und Lenkungssteuern wie die Schaumwein- und Zwischenerzeugnissteuer, die Biersteuer oder die Kaffeesteuer" abgeschafft werden.

Bei der Staatsverschuldung fordern sie eine "zügige" Senkung des Schuldenstands unter die im Maastricht-Vertrag vorgegebene Quote von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.


5. AfD 

Die AfD will das Steuersystem vereinfachen. Sie tritt "für ein Steuersystem mit wenigen Steuerarten und verständlicher Systematik" ein und nennt als gutes Beispiel für eine große Reform das Steuerreformkonzept des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof.

"In Orientierung daran könnten, bei Konzentration auf die beiden großen Steuerarten (Umsatzsteuer und Einkommenssteuer), die Grundsteuer, die Gewerbesteuer und etliche, nach ihrem Aufkommen betrachtet, weitere kleinere Verbrauchsteuern auf Bundesebene ersatzlos entfallen."

Als Beispiele nennt die Partei die Energiesteuer, die Schaumweinsteuer und die Kaffeesteuer. Auch auf Landesebene sollen Steuern wie die Biersteuer gestrichen werden. Ihnen allen sei gemeinsam, dass sie verwaltungsaufwendig und aufkommensschwach seien.

Als Ersatzeinnahme für die Kommunen strebt die AfD "eine Änderung des Verteilungsschlüssels der großen Steuerarten" zu deren Gunsten an. Grundsätzlich sei es das Ziel, die Steuer- und Abgabenbelastung in Deutschland deutlich zu senken.


6. Linke 

Die Linke fordert eine Vermögensteuer mit einem progressiven Tarif und einem Freibetrag für Privatvermögen von 1 Million Euro pro Person. Der Freibetrag für Betriebsvermögen soll bei 5 Millionen Euro liegen, Altersvorsorge soll von der Steuer ausgenommen werden. "Der Eingangssteuersatz der Vermögensteuer startet bei 1 Prozent und steigt bis zu einem Nettovermögen von 50 Millionen Euro stetig an", heißt es im Wahlprogramm. "Ab 50 Millionen Euro greift der Höchststeuersatz von 5 Prozent."

Die geschätzten Einnahmen lägen jährlich bei 58 Milliarden Euro. Für die Bewältigung der Corona-Krise will die Partei zudem eine einmalige Vermögensabgabe von 10 bis 30 Prozent für Nettovermögen über 2 Millionen Euro erheben, die über zwanzig Jahre in Raten gezahlt werden soll - mit geschätzten Einnahmen von insgesamt 310 Milliarden Euro.

Bei der Einkommenssteuer sollen alle zu versteuernden Einkommen unter 14.400 Euro im Jahr nach den Plänen der Linken steuerfrei bleiben. Dafür soll der Steuersatz ab 70.000 Euro 53 Prozent betragen. Zudem sollen 60 Prozent Reichensteuer für Einkommen über 260.533 Euro und 75 Prozent für Einkommen über 1 Million Euro anfallen.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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September 23, 2021 06:00 ET (10:00 GMT)