Von Rochelle Toplensky

LONDON (Dow Jones)--Steigende Zinssätze sind nicht der direkte Geldregen für die leidgeprüften europäischen Banken, der dieser auf den ersten Blick sein könnte. Es wird wohl Geduld vonnöten sein. Europäische Bankaktien haben in diesem Jahr eine starke Entwicklung hingelegt. Sie kletterten um etwa 6 Prozent, während der Gesamtmarkt abrutschte. Sie sind wirtschaftliche Vorreiter, so dass Anzeichen für einen Aufschwung ihnen - neben anderen zyklischen Werten - Auftrieb gegeben haben, seit die Covid-19-Impfstoffe Ende 2020 erstmals Erfolge zeigten.

Jetzt gibt es auch aufgeregte Kommentare zu und Gerede über höhere Leitzinsen, wenn auch mit einer Verzögerung in der Eurozone im Vergleich zu Großbritannien und den USA.

Für Banken ist es normal, dass sie mit dem Kapital, das sie verleihen, Geld verdienen. Wenn also der Zinssatz zulegt, den sie für Kredite verlangen können, sollten sich auch ihre Erträge verbessern.

Leider ist es nicht mehr ganz so einfach. Die außerordentlichen finanziellen Unterstützungsmaßnahmen, mit der die Politik auf die Pandemie reagierte, müssen nämlich erst rückgängig gemacht werden, bevor sich das Bankgeschäft wieder normalisiert.


   Dividenden-Verbot gehört abgeschafft 

Als die Pandemie die Volkswirtschaften im Jahr 2020 lahmlegte, lockerten die Regierungen ihre Politik, wo immer dies möglich war. Die Zentralbanken senkten die Kreditzinsen weiter und begannen mit der quantitativen Lockerung. Ausgabenprogramme des Staates zahlten Löhne sowie Gehälter, und Kreditnehmer erhielten Zahlungsaufschub oder staatlich unterstützte Notkredite.

Die europäischen Bankenaufsichtsbehörden feilten an den Regeln, die tief im Finanzsystem verankert sind, um sicherzustellen, dass die Banken weiterhin Kredite vergeben. Damit sollten die Wirtschaft unterstützt und gleichzeitig gesunde Kapitalpuffer beibehalten werden. Die Beamten passten die Regeln für die Kreditvergabe zwischen Banken und die Zinssätze an, senkten die Eigenkapitalanforderungen und verboten Dividenden sowie Boni.

All diese Maßnahmen zeigten Wirkung. Die Banken bildeten massive Rückstellungen für Kreditausfälle, um sich auf das Schlimmste vorzubereiten, aber letztendlich wurden sie nicht wirklich angetastet. Jetzt, da es wieder aufwärts zu gehen scheint, ist es an der Zeit, die Stützungsmaßnahmen langsam abzubauen. Einer der ersten Punkte, der angepackt werden muss, ist das Verbot von Aktionärsrenditen. Dadurch sollte es in diesem Jahr zu einer Flut von Aktienrückkäufen und Dividenden kommen.

Die Abschaffung vieler anderer Maßnahmen wird mehr Zeit in Anspruch nehmen. Und die Art und Weise, wie sie miteinander verbunden sind, macht es schwierig vorherzusagen, wie sich der Prozess auf die Bankgewinne auswirkt, auch wenn höhere Zinssätze immer die Schlagzeilen beherrschen.


   Es herrscht Wirrwarr an Haupt- und Nebeneffekten 

Ein Beispiel dafür sind die jüngsten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte der Europäischen Zentralbank (EZB), kurz TLTRO genannt, die in der zweiten Hälfte 2022 auslaufen. Das Programm ermöglichte es den Banken, risikofreie Erträge in Höhe von fünf Basispunkten zu erwirtschaften. Sie nahmen beispielsweise Anleihen zu minus 1 Prozent auf und legten sie zu minus 0,5 Prozent zurück.

Laut Alastair Ryan von der Bank of America bescherte TLTRO den europäischen Banken etwa 8 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen. Das Programm hatte jedoch auch den Nebeneffekt, dass sich die Zinsdifferenzen verringerten, was nach Ryans Schätzungen die Erträge der Banken um 68 Milliarden Euro verringert haben könnte.

Eine Umkehrung des einen könnte sich also auf das andere auswirken, und das sind nur zwei der vielen beweglichen Teile in diesem allmächtigen Wirrwarr. Die große Normalisierung wird Zeit brauchen.

Die Anleger von europäischen Geldhäusern dürften feststellen, dass Zinserhöhungen letztendlich doch höhere Gewinne bedeuten. Kurzfristig müssen sie sich jedoch vielleicht mit großzügigen Rückkäufen und Dividenden trösten.

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DJG/DJN/axw/smh

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January 21, 2022 10:30 ET (15:30 GMT)