Börsen-Zeitung: Offene Flanke / Kommentar zur Siemens-Hauptversammlung
von Michael Flämig
   Frankfurt (ots) - Wenn Vorstandsvorsitzende die wirtschaftliche 
Lage als "etwas gemischtes Bild"  beschreiben, dann ist immer 
Vorsicht angesagt. Doch als Siemens-Chef Joe Kaeser am Rande der 
Hauptversammlung exakt diese  Worte wählte, um den Start in das neue 
Geschäftsjahr zu beschreiben, mussten erst recht die Alarmglocken 
schrillen. Schließlich diskutiert die gesamte Wirtschaftswelt aktuell
über einen bevorstehenden Abschwung.

   Trotzdem sind die Siemens-Quartalszahlen kein weiteres Indiz für 
eine breit angelegte ökonomische Kehrtwende.  Im Gegenteil: Im 
Zahlenwerk verbergen sich Hoffnungszeichen. Beispielsweise ist der 
Auftragsbestand auf den Rekordwert von 137 Mrd. Euro gestiegen. 
Bremsspuren sind auch in Fernost nicht auszumachen. In China stieg 
der Ordereingang um 10%.

   Dass Firmen wie Osram als Frühzykliker auf die Bremse getreten 
sind, scheint sich vorerst bei Siemens - zumindest in diesem Ausmaß -
nicht zu wiederholen. Der Umbau der weltweiten Wertschöpfungsketten 
erfordert  Investitionen, von denen die Münchner profitieren. Zudem 
ist das immer bedeutendere Softwaregeschäft weniger 
konjunkturabhängig. Vielleicht aber ist Siemens in einigen Sparten 
auch einfach besser geführt als manches Unternehmen, das nun über 
Einbrüche klagt.

   Diese Einsicht hat sich am Mittwoch auch am Aktienmarkt 
durchgesetzt. Der Siemens-Kurs gab letztlich nur 0,7% ab. Eine 
Entwarnung  ist dies aber  nicht. Der Gewinnrückgang im ersten 
Quartal legt erneut offen, dass das Geschäft mit fossilen Kraftwerken
die entscheidende offene Flanke ist. Solange der Vorstand keine 
strategische Lösung  gefunden hat, wird der Aktienkurs nicht in die 
Regionen des Jahres 2017 zurückfinden.

   Das ist auch deswegen schmerzhaft, weil die Erfolgsgeschichte der 
Sparte Digitale Fabrik überdeckt wird.   Dort gelingt dem Konzern das
Kunststück, mit mittleren einstelligen Prozentsätzen zu wachsen und 
zugleich die extrem hohe operative Rendite (20%) zu halten.  Kein 
Wunder, dass sich Fondsmanager einen "logischen finalen Schritt" 
wünschen: die Konzentration auf dieses Geschäftsfeld, das hohe 
technologische Eintrittsbarrieren hat.

   Damit allerdings wäre die Messe noch nicht gelesen. Denn auch in 
der Branche Industrieautomatisierung ließe sich der Markt weiter 
konsolidieren. Eine Änderung des europäischen Wettbewerbsrechts 
könnte, wenn die aktuelle Debatte zu diesem Ergebnis führt,  den Weg 
ebnen für große Lösungen. Volkswirtschaftlich mag dies bedenklich 
sein. Die Siemens-Aktionäre würden profitieren.

   (Börsen-Zeitung, 31.01.2019)

OTS:              Börsen-Zeitung
newsroom:         http://www.presseportal.de/nr/30377
newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_30377.rss2

Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de