Berlin (Reuters) - Klimaneutralität bis 2050 ist Umweltexperten zufolge in Deutschland technisch machbar, braucht aber eine aktivere Regierung und mehr Investitionen.

"Jetzt wird eine große Investitionswelle angestoßen", sagte Patrick Graichen vom Think Tank Agora Energiewende am Donnerstag in Berlin. Es gebe Schätzungen, dass 70 Milliarden Euro im Jahr nötig seien. "Das wäre kein Problem für Deutschland." Die nächste Regierung müsse allerdings stärker aufs Tempo drücken - mit einem Kohleausstieg bis 2030, einem stärkeren Stromanteil erneuerbarer Energien, mehr E-Autos auf den Straßen und mehr Gebäudesanierungen. Klimaneutralität bedeute dementsprechend eine Modernisierung des Landes, so Graichen. Empfohlen wurde eine Verdreifachung beim Zubau von Wind- und Solaranlagen in den nächsten zehn Jahren.

Rainer Baake von der Stiftung Klimaneutralität ergänzte, Wasserstoff spiele zudem eine wichtige Rolle. Ohne diesen Brennstoff werde Klimaneutralität nicht gelingen. Es sei aber eine sehr teure Technologie. "Der Wasserstoff ist der ganz teure Champagner der Energiewende." Deutschland werde ihn nicht alleine ausreichend herstellen können, sei hier auf Importe angewiesen und müsse möglichst günstige Transportwege suchen, etwa über Pipelines. Der Ausbau erneuerbarer Energien sei daher ganz wichtig, Wasserstoff solle dort eingesetzt werden, wo es keine guten Alternativen gebe.

Die Bundesregierung hat im Sommer eine Strategie zur Produktion und zum Einsatz des Brennstoffs beschlossen - will bei Wasserstoff die Nummer eins werden. Für die Industrie werden künftig riesige Mengen Wasserstoff benötigt, die mit Hilfe von Wind- oder Sonnenstrom erzeugt werden sollen. Während bei Autos der direkte elektrische Antrieb favorisiert wird, fehlen klimafreundliche Lösungen für Schwerlaster, die Schifffahrt sowie Chemie-, Stahl- und Zement-Industrie noch.

Beispiel Stahlindustrie: Hier gibt es laut Agora jetzt eine gute Gelegenheit. "Rund die Hälfte der Hochöfen in Deutschland muss bis 2030 aus Altersgründen ersetzt werden. Anlagen, die anstelle von Kokskohle mit Wasserstoff betrieben werden, könnten den CO2-Ausstoß der Industrie drastisch senken."