Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Verbraucher erhöhen nach Erkenntnissen von Ökonomen der Europäischen Zentralbank (EZB) ihren Konsum, wenn sie mit einer steigenden Inflation rechnen. Wie sie in einem von der EZB veröffentlichten Papier schreiben, deutet das darauf hin, dass steigende Inflationserwartungen der Konsumenten einen Beitrag zur Stabilisierung einer Volkswirtschaft leisten - vor allem, wenn der Leitzins seine Untergrenze erreicht hat. Das Papier enthält allerdings keinen Hinweis darauf, wie die EZB die Inflationserwartungen dieser Akteure beeinflussen könnte.

Die EZB geht bei ihrer Strategieprüfung unter anderem der Frage nach, ob sie im Rahmen ihrer Geldpolitik die richtigen Messgrößen der erwarteten Inflation verwendet. EZB-Direktorin Isabel Schnabel sagte kürzlich, möglicherweise seien die Inflationserwartungen der Konsumenten sogar wichtiger als die aus Finanzmarktvariablen ermittelten Erwartungen von Marktteilnehmern. Auch bei der Deutschen Bundesbank wird mit einer stärkeren Berücksichtigung der Inflationserwartungen privater Haushalte geliebäugelt.

Einer gängigen ökonomischen Theorie zufolge stimuliert ein sinkender Zins die Investitionstätigkeit von Unternehmen, denn er macht die Finanzierung günstiger. Die Aktivität steigt und damit theoretisch auch die Inflation. Die Erwartung steigender Inflationsraten wiederum lässt den Realzins sinken. Kann die Notenbank den Zins nicht weiter senken, versucht sie die Inflationserwartungen mit der Zusage lange Zeit niedriger Zinsen sowie Wertpapierkäufen zu stützen.

Die EZB-Volkwirte kommen nun nach Auswertung von Umfragedaten der Jahre 2003 bis 2016 zu dem Ergebnis, dass sich Konsumenten in gewisser Weise wie Unternehmen verhalten: Sie geben mehr Geld aus, wenn sie damit rechnen, dass es zu einer beschleunigten Geldentwertung kommt. "Dieses Ergebnis, das sich mit überraschender Konsistenz über alle demografischen und wirtschaftlichen Gruppen hinweg sowie in allen Ländern zeigt, deutet darauf hin, dass die Inflationserwartungen von Konsumenten eine Rolle bei der makroökonomischen Stabilisierung spielen können", heißt es in dem Bericht.

Die Forscher weisen aber darauf hin, dass sie sich noch nicht mit der Frage auseinandergesetzt haben, wie die EZB die Inflationserwartungen der Konsumenten beeinflussen könnte.

Die EZB ermittelt regelmäßig die Inflationserwartungen von Ökonomen im Rahmen ihres Survey of Professional Forecasters. Außerdem misst sie die in Finanzmarktprodukten implizierten Erwartungen der Marktteilnehmer. Vor allem letztere sind weit entfernt von jenen knapp 2 Prozent Inflation, die die EZB anstrebt. Die der Ökonomen liegen etwas höher. Beides und nicht zuletzt die Inflationsprognosen der EZB-Volkswirte selbst deuten die Notwendigkeit an, die Geldpolitik noch lange sehr wachstumsfreundlich zu halten.

Die Deutsche Bundesbank hatte sich im Dezember 2019 ebenfalls zu den Inflationserwartungen von Konsumenten geäußert. Sie wies in einem Monatsbericht darauf hin, dass die Inflationserwartungen deutscher Privatpersonen ziemlich genau dem mittelfristigen Inflationsziel der EZB entsprächen.

Aus Sicht der Konsumenten, an denen rund die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) hängt, war die Geldpolitik zu diesem Zeitpunkt also schon ziemlich wachstums- und inflationsfreundlich. Seither hat die von der Corona-Pandemie ausgelöste schwere Rezession zu einer weiteren starken Lockerung der Geldpolitik geführt.

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January 12, 2021 02:41 ET (07:41 GMT)