Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--EZB-Bankaufseherin Kerstin af Jochnick hat vor einer zu optimistischen Beurteilung der Gewinnaussichten von Banken im Euroraum gewarnt. "Marktteilnehmer scheinen davon auszugehen, dass sich das dynamische Momentum bei der Profitabilität bis weit ins Jahr 2023 fortsetzen wird", schrieb sie in einem Artikel für das Magazin des portugiesischen Instituto de Formação Bancária. Sie ignorierten dabei aber die wirtschaftlichen Risiken, die vom russischen Krieg gegen die Ukraine ausgingen. Auch wirke der Zinsanstieg nicht für alle Institute im gleichen Maße positiv.

"Die Märkte scheinen darauf zu setzen, dass die positive Wirkung höherer Zinssätze vor dem Hintergrund einer immer noch hohen Inflation die Belastung durch steigende Risikovorsorge, geringere Kreditvolumina und höhere Betriebskosten in einer schwächeren Wirtschaft mehr als ausgleichen wird", schrieb sie.

Laut Europäischer Zentralbank (EZB) lag die Eigenkapitalrendite der von ihr direkt beaufsichtigten Institute im zweiten Quartal 2022 bei 7,6 Prozent. Das war der höchste Wert seit dem Start der einheitlichen Bankenaufsicht durch die EZB. Für den Rest des Jahres 2022 rechnet die EZB mit anhaltend robusten Gewinnen.

Gegen eine Fortschreibung dieses Trends spricht af Jochnick zufolge aber, dass Analysten ihre Wachstumsprognosen seit dem russischen Überfall auf die Ukraine deutlich zurückgenommen haben. "Die EZB hat schon im September vor einer möglichen Rezessionsszenario gewarnt", schrieb af Jochnick. Sie sieht drei Gründe für eine erhöhte Vorsicht:

1. Der Nutzen der Zinsanstiege ist nicht gleichmäßig über das Bankensystem verteilt, sondern hängt unter anderem auch vom Geschäftsmodell, der Bilanzstruktur und deren Reaktion auf den Konjunkturzyklus ab. Auch wenn die steigenden Zinsen mit Blick auf das Bankensystem per saldo positiv wirken sollten, kann das Ergebnis für einzelne Banken anders aussehen.

2. Die Risiken für den Ausblick sind abwärts gerichtet. "Jegliche Abweichungen des tatsächlichen Wachstums von der Basislinie würde die oben genannten Gewinner und Verlierer höherer Zinsen entsprechend beeinflussen", schrieb af Jochnick. Eine Verschlechterung der Asset-Qualität sei hier die Hauptsorge. Es gebe bereits Anzeichen dafür, dass das Volumen der notleidenden Kredite zunehmen würde, wenn die Zinsen bei sich verschlechterndem Wachstumausblick weiter steigen würden. Negativ beeinflusst wären auch einzelne Marktsegmente wie Immobilien, Leveraged Finance und Kredite an energieintensive Unternehmen.

3. Der Wille der Fiskalpolitik, angesichts des Krieges neue Finanzhilfen auf den Weg zu bringen, könnte von Erwägungen hinsichtlich der Preisstabilität gebremst werden.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

DJG/hab/apo

(END) Dow Jones Newswires

January 10, 2023 07:01 ET (12:01 GMT)