Das deutsche Kabinett hat am Mittwoch einen Gesetzentwurf zur Erleichterung des Staatsbürgerschaftsrechts verabschiedet. Es hofft, dass ein schnellerer Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft qualifizierte Migranten anziehen wird, um den chronischen Arbeitskräftemangel in Europas größter Wirtschaft zu beheben.

Einige Experten warnen davor, dass der Fortschritt nur langsam vonstatten gehen könnte, da Teile des deutschen Verwaltungsapparats bereits unter einem großen Rückstau an bestehenden Staatsbürgerschaftsanträgen knarren.

Der Entwurf, der erstmals im Mai vorgelegt wurde, verkürzt die erforderliche Aufenthaltsdauer für Migranten von acht auf fünf Jahre und auf drei Jahre, wenn die Migranten so genannte besondere Integrationsbemühungen unternehmen, wie z.B. sehr gut Deutsch sprechen oder ehrenamtliche Arbeit leisten.

Das neue Gesetz erlaubt auch die doppelte Staatsbürgerschaft und gewährt Kindern, die in Deutschland geboren werden und deren Eltern seit mehr als fünf Jahren im Land leben, eine automatische Einbürgerung.

Wie alle Industrieländer auf der Welt hat auch Deutschland mit einem großen Arbeitskräftemangel zu kämpfen, vor allem in qualifizierten, wachstumsstarken Sektoren, was sich auf die Wirtschaft auswirkt, die noch in diesem Jahr eine Rezession erleben könnte.

Offiziellen Schätzungen zufolge werden der alternden Gesellschaft in Deutschland bis 2035 sieben Millionen qualifizierte Arbeitskräfte fehlen.

Die deutsche Staatsbürgerschaft ist keine Voraussetzung für die Beschäftigung von Migranten, aber Deutschland möchte sich wie die USA und Kanada als Zielland für ausländische Talente etablieren, und Berlin hofft, dass die Aussicht auf einen reibungsloseren und schnelleren Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft qualifizierte Migranten anziehen wird.

Der Gesetzentwurf wird auch den Weg zum deutschen Pass für Tausende von ausländischen "Gastarbeitern" vereinfachen, die vor Jahrzehnten aus der Türkei und Südeuropa zum Wiederaufbau der deutschen Nachkriegswirtschaft ins Land geholt wurden. Zu diesem Zweck werden die Anforderungen an die deutsche Sprache gesenkt und ein Einbürgerungstest abgeschafft.

Aber da die deutschen Behörden bereits mit Tausenden von rückständigen Einbürgerungsanträgen überfordert sind, bezweifeln einige Experten, dass die Reformen ihr Hauptziel, nämlich die Anwerbung von Talenten aus aller Welt, um Hunderttausende von freien Stellen zu besetzen, schnell erreichen können.

"Wir sehen sehr deutlich, dass das Gesetz zwar relativ liberale Regelungen bieten wird, diese aber nur auf dem Papier existieren werden", sagte Holger Kolb, ein Forscher beim Sachverständigenrat für Integration und Migration, gegenüber Reuters.

Kolb sagte, ähnliche Probleme mit langen Wartezeiten für Termine behinderten auch die parallelen Reformen Deutschlands in verwandten Bereichen wie Visa für Fachkräfte aus dem Ausland.

LANGE WARTEZEITEN

Personalmangel im öffentlichen Sektor, dessen Arbeitsplätze meist nicht so wettbewerbsfähig sind wie andere Sektoren, ein Mangel an Digitalisierung und die Auswirkungen mehrerer verwandter Migrationsreformen, die in diesem Jahr verabschiedet wurden, überforderten die Einwanderungsbehörden, so Kolb weiter.

"Ein Gesetz kann man relativ schnell ändern, aber eine Verwaltung aufzurüsten, zu digitalisieren und neu zu organisieren, das wird schwierig", sagte er.

Die Einbürgerungsrate in Deutschland liegt mit 1,1 % deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 2 %, so das Innenministerium, das dies auf die mangelnde Bereitschaft von Ausländern zurückführt, ihre alte Staatsbürgerschaft gegen die deutsche einzutauschen - ein Dilemma, das das neue Gesetz beheben soll.

Migranten beklagen sich über lange Wartezeiten selbst für einen ersten Termin zur Einbürgerungsberatung. Aber nicht jeder lässt sich davon abschrecken.

Hunderttausende von syrischen Flüchtlingen, die 2015/2016 in Deutschland ankamen, haben nun Anspruch auf den roten Pass, was zu einem Anstieg der Einbürgerungsanträge beigetragen hat, wie eine Studie des Mediendienstes Intergation, eines Online-Portals, das Daten über Einwanderung und Asyl sammelt, im März zeigte.

Die Zahl der Anträge wächst schneller als die Zahl der von den Behörden bearbeiteten Einbürgerungen und hat sich innerhalb eines Jahres in den Städten Köln und Dresden verdoppelt und in Bielefeld sogar verdreifacht, wie die Studie zeigt.

Die Wartezeiten für Anträge variieren zwischen einem Jahr in Städten wie Hamburg und München und bis zu 36 Monaten in Chemnitz, so die Studie, die die Migrationsbehörden in 23 der bevölkerungsreichsten Städte in Deutschland befragte.

Auf die langen Wartezeiten angesprochen, sagte Innenministerin Nancy Faeser, dass die Bearbeitung von Anträgen und andere Verwaltungsarbeiten durch die Migrationsbehörden eine Angelegenheit der Bundesländer sei, und fügte hinzu, dass die Wartezeiten je nach Region unterschiedlich seien.

Tariq Tabbara, Professor für Staatsbürgerschaftsrecht an der Berliner Universität für Wirtschaft und Recht, sagte, das neue Gesetz enthalte neue Vorschriften, die das Verfahren wahrscheinlich noch komplizierter machen würden, wie z.B. strengere Bedingungen für die Sicherstellung, dass die Person ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten kann, eine Anforderung, die bereits jetzt von den Behörden langwierig geprüft wird.

"Selbst mit dieser Reform in Deutschland ist der Zugang zur Staatsbürgerschaft in traditionellen Einwanderungsländern wie Kanada immer noch viel einfacher. Am Ende könnte es sogar noch schwieriger werden", sagte Tabbara gegenüber Reuters.