BERLIN (Dow Jones)--Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat mit Blick auf das Weltwirtschaftsforum in Davos einen "Neustart" für die Globalisierung verlangt. "Die Lösung geopolitischer Krisen liegt nicht in weniger Globalisierung und mehr Protektionismus", erklärte der FDP-Vorsitzende über den Kurznachrichtendienst Twitter. "Im Gegenteil: Wer mehr Resilienz will, muss der Globalisierung einen Neustart verpassen." Vor Beginn des Treffens in Davos seien weltweit Stimmen zu hören, nach denen die Globalisierung gescheitert sei, schrieb Lindner dazu in einem Gastbeitrag für die Welt. Er warne davor, "aus der Gegenwart die falschen Schlüsse zu ziehen".

Die hohe Inflation, steigende Zinsen, Schwierigkeiten mit Lieferketten und der Energieversorgung und nicht zuletzt die Folgen des russischen Angriffskriegs würden "zusammengerührt", beklagte Lindner. "Dieses trügerische Gemisch wird als Beleg dafür genommen, dass Freihandel und Marktwirtschaft an ihre Grenzen gelangt seien." Doch werde übersehen, dass die Weltwirtschaft die Energiekrise, die Lieferkettenprobleme und die Leitzinserhöhungen bis jetzt viel besser verkraftet habe als erwartet. Die jetzige Krise verlange allerdings zum "Neustart" der Globalisierung ein Update, "das alte Schwächen behebt, Prozesse beschleunigt und neue Formen der Zusammenarbeit ermöglicht".

Auch erfordere das "Betriebssystem Europa" ein Nachrüsten. "Wir müssen auf den Wachstumspfad zurückkehren, um international unseren Platz behaupten zu können", mahnte der FDP-Chef. Ohne Wachstum sei sozialer Aufstieg individuell und für Gesellschaften nur im harten Verdrängungs- und Verteilungsstreit möglich. "Das kann nicht unser Ziel sein." Für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen sah Lindner in Europa eine realistische, aber dennoch ambitionierte schrittweise Haushaltskonsolidierung als unabdingbar an, insbesondere in Ländern mit deutlich erhöhtem Schuldenstand.

Öffentliche und private Investitionen müssten sich gegenseitig ergänzen, um die gewaltigen wirtschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. "Wir müssen marktwirtschaftliche Erneuerungskräfte stärken, nicht Verbote und überbordende Regularien", forderte er. In fragilen Zeiten entstehe Stabilität durch mehr, nicht durch weniger Freihandel. Nur multilaterales Zusammenwirken könne der Schlüssel zu Wachstum und Wohlstand sein, auch für ärmere Länder. "Wir brauchen einen verstärkten Austausch insbesondere unter Wertepartnern, die ähnliche Vorstellungen von Demokratie und Marktwirtschaft haben wie wir", schrieb Lindner. "Unsere Vision ist eine Weltfreihandelszone der liberalen Demokratien."

Gerade nach dem amerikanischen Inflation Reduction Act sei umso dringender ein neuer Anlauf für ein Handelsabkommen mit den USA vonnöten. "Die Ratifizierung des Freihandelsabkommens Ceta mit Kanada darf erst der Beginn einer Initiative für mehr freien Handel gewesen sein", erklärte Lindner. Schrittweise müssten andere Märkte und Weltregionen erschlossen werden. Eine Abkopplung beispielsweise vom chinesischen Markt könne hingegen nicht die Lösung sein. "Wir können den chinesischen Markt nicht freimütig anderen überlassen", mahnte Lindner. Hier müsse eine gemeinsame europäische Haltung entwickelt werden.

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January 16, 2023 10:15 ET (15:15 GMT)