Berlin (Reuters) - Die Grünen wollen sich nach ihren Verlusten bei der Europawahl nicht auf ihre Kernwählerschaft zurückziehen, sondern zielen auf breitere Wählerschichten.

"Wir wollen Politik für die Breite der Gesellschaft, also fürs ganze Land machen", sagte Co-Parteichefin Ricarda Lang am Mittwochabend in einer öffentlichen Videokonferenz mit Parteimitgliedern. Bei der Bundestagswahl 2025 wollen die Grünen laut Co-Parteichef Omid Nouripour zudem ihren Wahlkampf auf eine Person zuspitzen. Wer dies sein wird, ließ er offen. In der Partei wird erwartet, dass die Grünen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf ziehen werden. Außenministerin Annalena Baerbock hatte vor kurzem erklärt, dass sie sich auf ihr Ministeramt konzentrieren wolle und daher dafür nicht zur Verfügung stehe.

"An der Spitze wird eine Person stehen, die unsere stringenten Linien im Wahlkampf glaubhaft verkörpert", sagte Nouripour. "Wir dringen besser durch, wenn wir klar personalisieren. Das werden wir bei der Bundestagswahl auch tun." Die beiden Parteivorsitzenden stellten vor, welchen Lehren die Grünen aus der Europawahl ziehen wollen, bei der sich ihr Wahlergebnis auf 11,9 Prozent nahezu halbiert hatte.

"Wir haben in der Stammwählerschaft verloren und gleichzeitig an anderen Stellen nicht dazugewonnen", sagte Lang. Für die Grünen bedeute dies: "Wir werden große gemeinsame Anstrengungen benötigen, um wieder mehr Menschen zu überzeugen und Vertrauen zu schaffen." Grüne Regierungspolitik habe etwa im Krisenjahr 2022 nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges mehr überzeugt. Die Menschen hätten damals deutlich gespürt, dass die Grünen Politik für das Land machten und nicht für sich selbst. "Da müssen wir zurück hin", rief Lang ihre Partei auf.

NOURIPOUR: KLIMA- UND NATURSCHUTZ STÄRKER HÖRBAR MACHEN

Nouripour sagte, die Grünen wollten näher bei den Menschen sein. "In der Schlussmobilisierung des Europawahlkampfs etwa haben wir sehr stark auf die Verteidigung unserer Demokratie fokussiert", sagte der Co-Parteichef. "Das war genau richtig, aber überhaupt nicht ausreichend. Gerade bei den Themen, die die Menschen am stärksten umtreiben, waren wir teilweise nicht präsent genug." Das gelte etwa für die Folgen von Inflation und Mietenentwicklung, aber auch Migration: "Wir wollen einen stärkeren Fokus auf diese zentralen sozialen Fragen legen und dabei eigene grüne Akzente setzen rund um Infrastruktur."

Zugleich wollen die Grünen ihre Kernthemen Klima- und Naturschutz unterstreichen. "Wir machen sie wieder stärker hörbar", sagte Nouripour. In der Stammwählerschaft würden die Grünen für ihr ökologisches Profil und dessen Verknüpfung mit verwandten Themenbereichen gewählt. "Hier liegen unsere Kernwerte, hier liegen unsere Kompetenzwerte, wenn auch aktuell geschwächt", sagte Nouripour. "Hier genießen wir Glaubwürdigkeit und sind unterscheidbarer als bei jedem anderen Thema. Das wollen wir als Positivum nach vorne stärker herausstellen."

(Bericht von Holger Hansen, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)