Von Sam Goldfarb

NEW YORK (Dow Jones)--Die Preise für Dienstleistungen klettern rasant. Und die Preise für Waren geben nach. Derweil streben die Energiepreise in alle Richtungen. Geldpolitische Entscheidungsträger und Marktbeobachter entfernen bereits volatile Komponenten aus den Preisindizes, um die "Kerninflation" zu verstehen. In diesen Tagen sind viele auf der Suche nach einem noch engeren Maßstab: dem Superkern.

Wenn das Arbeitsministerium in diesem Donnerstag seine neuesten Inflationsdaten veröffentlicht, werden die meisten Anleger zunächst die monatliche Veränderung des so genannten Kern-Verbraucherpreisindex' betrachten. Diese klammert die Kategorien Lebensmittel und Energie aus, um einen besseren Eindruck von der längerfristigen Entwicklung der Teuerung zu vermitteln.

Einige werden jedoch schnell über diese Zahl hinausblicken und Messgrößen wie die Kerndienstleistungen ohne Wohnen - oder sogar die Kerndienstleistungen ohne Wohnen und medizinische Versorgung - auswerten. Und selbst das dürfte sich nicht als ganz zufriedenstellend erweisen. Das eigentliche Problem für die Anleger ist, dass die Inflation selbst komplizierter geworden ist.


Arbeitsmarkt rückt weiter ins Zentrum der Betrachtung 

Die Kerninflation bei Gütern ist in den vergangenen Monaten dank des gestiegenen Angebots vieler Produkte und der gesunkenen Nachfrage ins Minus gerutscht. Dagegen liegt die Dienstleistungsinflation nach wie vor hoch - nach Ansicht vieler das Ergebnis eines hartnäckig starken Arbeitsmarktes und spürbar zulegender Arbeitskosten.

"Vergangenes Jahr war es ziemlich klar, dass der Verbraucherpreisindex das Hauptaugenmerk der Märkte war, da wir so schockierende Zahlen mit Trend nach oben bekamen", meint Roger Hallam von Vanguard. Jetzt werden bei der Veröffentlichung des Verbraucherpreisindex "die Waren und der Druck im Wohnbereich im Vergleich zu dem, was auf der Dienstleistungsseite passiert, weniger im Mittelpunkt stehen". Und im weiteren Verlauf des Jahres "wird sich der Markt stärker auf die Arbeitsmarktzahlen konzentrieren".

In den vergangenen Monaten hat der Vorsitzende der US-Notenbank Fed, Jerome Powell, selbst die Bedeutung der Kerndienstleistungen ohne Wohnen hervorgehoben. Doch er selbst betrachtet auch den Wohnkosten, da diese im bevorzugten Inflationsindikator der Fed, dem Preisindex für persönliche Verbrauchsausgaben (PCE), gemessen wird. Dieser Index wird erst am Ende eines jeden Monats veröffentlicht und weicht seit Anfang 2021 stärker als üblich vom Berbraucherpreisindex ab.

Um die Sache noch komplizierter zu machen, hat Powell dazu beigetragen, viele Anleger davon zu überzeugen, dass der Arbeitsmarkt der Schlüssel zum Verständnis der Inflationsentwicklung ist, so dass die Inflationsdaten selbst wohl weniger wichtig sind. Dies hat jedoch eine neue Unsicherheit geschaffen, da die Anleger über die traditionellen Messgrößen wie die Arbeitslosenquote hinaus auf unzählige andere Indikatoren schauen, die alle ihre jeweiligen Nachteile haben.

Trotz aller Vorsicht, die die Anleger an den Tag legen, deuten die jüngsten Marktbewegungen darauf hin, dass sie im Großen und Ganzen davon ausgehen, dass die Inflationsgefahr in den vergangenen Monaten abgenommen hat.


Kerninflation für Waren gibt deutlich nach 

Die Renditen von US-Staatsanleihen, die weitgehend die Erwartungen der Anleger in Bezug auf die von der Fed festgelegten kurzfristigen Zinssätze widerspiegeln, erreichten im vergangenen Oktober ihren Höchststand. Seither haben sich die Renditen deutlich von ihren Höchstständen entfernt, wobei die PCE-Kerninflation für Waren in den vergangenen drei berichteten Monaten bei einer annualisierten Rate von minus 1,9 Prozent lag.

Zum Optimismus der Anleger trug bei, dass der aktuelle Arbeitsmarktbericht eine doppelte Dosis guter Nachrichten enthielt - zumindest aus Sicht der Wall Street - über das Tempo der Lohnzuwächse in den vergangenen Monaten enthielt. Aus dem Bericht ging nicht nur hervor, dass die durchschnittlichen Stundenlöhne im Dezember weniger stark gestiegen sind als erwartet, sondern er enthielt auch erhebliche Abwärtskorrekturen der Zuwächse der Vormonate.

Für die Anleger stellt sich nun die Frage, inwieweit sie sich wegen der anhaltend hohen Dienstleistungsinflation Sorgen machen müssen. Außerdem müssen sie beachten, wie die monatlichen Lohndaten angesichts ihrer starken Schwankungen in den vergangenen Monaten zu bewerten sind.

Insgesamt stiegen die Kernpreise in den drei Monaten bis November mit einer auf das Jahr hochgerechneten Rate von 3,6 Prozent, was immer noch deutlich über dem 2-Prozent-Ziel der Fed rangiert. Die Fed-Vertreter haben ihrerseits meist ihre anhaltende Besorgnis über die Inflationsaussichten zum Ausdruck gebracht.

Im Protokoll der Fed-Sitzung vom Dezember wurde erneut die Bedeutung der Kerndienstleistungen ohne Wohnen hervorgehoben. Sie gelten für die Fed als größte Komponente der Kerninflation. Aus dem Protokoll ging auch hervor, dass die Fed-Spitzen befürchteten, die Anleger könnten ihre Entschlossenheit unterschätzen, die Zinssätze auf einem höheren Niveau zu halten. Das könnte eine "ungerechtfertigte Lockerung der finanziellen Bedingungen" auslösen.


Fed sieht engen Zusammenhang von Lohndruck und Kerndienstleistungen 

Ein Faktor hinter der hohen Dienstleistungsinflation im Vorjahr entfiel auf einen Anstieg der Flugpreise, der zum Teil den gestiegenen Treibstoffkosten geschuldet ist, so Omair Sharif von Inflation Insights. Omair Sharifs bevorzugtes Maß für die Dienstleistungsinflation schließt nicht nur die Kategorien Energie und Wohnen, sondern auch medizinische Versorgung und Transport aus. Dieser Indikator zeigt einen weniger alarmierenden Trend in der Preissteigerungsrate. Die Konzentration der Fed auf den Kernwert sei offensichtlich auf ihre Überzeugung zurückzuführen, dass der Lohndruck eng mit den Kerndienstleistungen korreliere, sagt er. "Und die Frage ist, inwieweit das tatsächlich zutrifft."

Kontakt zum Autor: konjunktur.de@dowjones.com

DJG/DJN/axw/smh

(END) Dow Jones Newswires

January 12, 2023 04:14 ET (09:14 GMT)