Frankfurt (Reuters) - Die Europäische Zentralbank (EZB) wird aus Sicht ihrer Präsidentin Christine Lagarde die Zinsen bald senken, sollte es nicht zu großen Schocks kommen.

Der Prozess des Zurückweichens der Inflation verlaufe wie erwartet, sagte Lagarde am Dienstag dem Sender CNBC. "Wir müssen lediglich noch etwas mehr Vertrauen in diesen Prozess der Disinflation aufbauen", merkte sie an. "Sofern kein zusätzlicher Schock auftritt, wird es an der Zeit sein, in angemessen kurzer Frist die restriktive Geldpolitik abzuschwächen," führte sie aus.

Lagarde hatte am Donnerstag nach der Zinssitzung in Frankfurt die Finanzmärkte bereits auf eine bald nahende erste Zinssenkung vorbereitet. Dabei komme es auf die Beurteilung der Inflationsaussichten, der Dynamik der zugrundeliegenden Teuerung und der Schlagkraft der Geldpolitik an, hatte sie gesagt. Die Inflation war im März auf 2,4 Prozent gesunken, womit sie nicht mehr weit von der EZB-Zielmarke von 2,0 Prozent entfernt liegt. Die EZB werde nicht warten, bis alles zurückgehe auf zwei Prozent, um die notwendigen Entscheidungen zu fällen, hatte die Notenbankchefin gesagt. Im Vorfeld der Sitzung hatte eine Reihe von Währungshütern auf den Juni als möglichen Starttermin für die Zinswende hingewiesen.

Der am Finanzmarkt richtungsweisende Einlagensatz, den Geldhäuser erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken, liegt bereits seit September auf dem Rekordniveau von 4,00 Prozent. Der Leitzins steht bei 4,50 Prozent. Die EZB hat inzwischen bereits fünf Sitzungen in Folge die Zinsen konstant gehalten. Die nächste Zinssitzung findet am 6. Juni in Frankfurt statt.

In dem CNBC-Interview machte Lagarde zudem klar, dass die EZB sich nicht auf einen bestimmten Zinssenkungskurs festlegt. "Ich habe bewusst gesagt, wir legen uns nicht vorab auf irgendeinen Zinspfad fest," sagte sie. Die EZB gehe datenabhängig vor. Es gebe eine gewaltige Unsicherheit. Die EZB müsse die geopolitischen Entwicklungen im Auge behalten. "Wir müssen auf die Daten blicken. Wir müssen Schlussfolgerungen aus diesen Daten ziehen," sagte Lagarde.

Finnlands Notenbankchef Olli Rehn wies am Dienstag in einer Mitteilung mit Blick auf die Krise im Nahen Osten und den Ukraine-Krieg darauf hin, dass ein Ausbleiben zusätzlicher geopolitischer Spannungen für eine erste Zinssenkung im Juni nötig sei. Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau sagte unterdessen in einer Rede im New York, die EZB werde natürlich auch die Entwicklungen im Nahen Osten verfolgen. "Größere Schocks und Überraschungen ausgenommen sollten wir Anfang Juni eine erste Zinssenkung beschließen, gefolgt von weiteren mit einem pragmatischen und agilen Gradualismus", merkte er an.

Am Geldmarkt wird derzeit die Wahrscheinlichkeit einer Zinssenkung im Juni mit 73 Prozent taxiert. Ingesamt wird dort für dieses Jahr mit drei EZB-Zinssenkungen im Umfang von zusammen 0,75 Prozentpunkten ausgegangen. Das ist deutlich weniger als noch vor zwei Monaten. Zu dem Zeitpunkt waren noch Zinsschritte nach unten im Gesamtumfang von rund einem Prozentpunkt für 2024 erwartet worden.

(Reporter Frank Siebelt, Leigh Thomas, Anne Kauranen; Redigiert von Birgit Mittwollen.; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)