Von Jon Sindreu

NEW YORK (Dow Jones)--So langsam werden die Bankkunden unzufrieden. Derzeit lassen sich mit Eröffnung eines Einlagenkontos kaum hohe Zinsen einheimsen. Aber Anleger sollten nicht davon ausgehen, dass Banken ihre Einleger noch lange brüskieren können.

Obwohl die US-Notenbank Fed die Marktzinssätze auf mehr als 5 Prozent heraufgesetzt hat, ist es derzeit schwierig, mehr als 4 Prozent auf einem Sparkonto zu erhalten. Eine Handvoll Banken bietet dies - darunter die in Pittsburgh ansässige PNC und die Online-Abteilung von Goldman Sachs, Marcus. Aber der durchschnittlich gezahlte Zinssatz lag im Mai bei 0,73 Prozent, wie Daten der Denkfabrik Center for Financial Stability (CFS) zeigen.

Wo Bankkunden verlieren, gewinnen Anleger natürlich. Da die meisten Wall-Street-Megabanken kommende Woche ihre Ergebnisse fürs zweite Quartal veröffentlichen und ihre europäischen Pendants eine Woche später, ist eine korrekte Einschätzung der "Einlagen-Betas" essenziell. Das ist der Anteil der Zinsänderungen, den die Banken an die Kunden weitergeben.


   Bankzinsen weiter deutlich unter Notenbank-Zinsen 

Die CFS-Zahl ist sehr weit gefasst und unterschätzt, was Banken Neukunden bieten. Finanzunterlagen deuten darauf hin, dass Einlagen bei großen Kreditgebern wie JP Morgan und Bank of America zwischen 1,3 Prozent und 2 Prozent einbringen. Darüber hinaus war es vor 2008 normal, dass Einlagen niedrigere Renditen als die Zentralbankzinsen erzielten. Dennoch ist die Kluft zwischen den beiden heute ungewöhnlich groß.

Der Trend in Europa ist ähnlich. In Großbritannien zahlten sofort abrufbare Depots im Juni 1,83 Prozent, obwohl die Leitzinsen auf 5 Prozent zulegten, was bei den Gesetzgebern den Vorwurf der Profitgier auslöste. In der Eurozone erzielten Haushalte und Unternehmen im Mai eine Rendite von 2,4 Prozent beziehungsweise 3 Prozent, während der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) 3,5 Prozent erreichte.

Aber Anleger, die damit rechnen, dass diese Situation anhält, könnten zu entspannt sein. Selbst geringfügige Erhöhungen der Einlagenkosten veranlassten die Analysten im ersten Quartal, ihre Prognosen für die Nettozinsmarge bei US-Banken zu senken. In Europa warnte die Commerzbank, dass Zinsmargen bald ihren Höhepunkt erreicht haben könnten. Dasselbe könnte in der kommenden Berichtssaison passieren.


   Finanzierungskosten der Banken könnten bei Umschichtungen steigen 

Die von Visible Alpha auf der Sell-Side gesammelten Prognosen gehen im Median davon aus, dass sich die Margen in diesem Jahr stark ausweiten und dann im kommenden Jahr einen Teil dieser Gewinne wieder abgeben, wenn die Einlagenkosten aufholen. Doch selbst diese Margen für 2024 wären bei mehreren großen globalen Banken etwa 0,3 Prozentpunkte enger, wenn die Einlagen-Betas unter der Annahme konstanter Zinssätze auf ihre historischen Durchschnittswerte wüchsen. Das zeigen interne-Berechnungen.

Es könnte sein, dass die Zentralbanken kommendes Jahr wieder mit Zinssenkungen beginnen, wie die Derivatemärkte anzunehmen scheinen. In diesem Fall dürften die Prognosen für die Kreditrenditen übermäßig optimistisch erscheinen.

Die EZB warnte kürzlich in ihrem halbjährlichen Finanzstabilitätsausblick, dass die Finanzierungskosten der Banken steigen könnten, wenn Kunden ihr Geld von Tagesgeldern auf Termineinlagen mit höherer Rendite umschichten. Wegen der Zinssätze nahe null im vergangenen Jahrzehnt machen erstere satte 61 Prozent der Einlagen in der Eurozone aus, verglichen mit 39 Prozent im Jahr 2013.


   Geldmarktfonds wieder populärer 

In ähnlicher Weise führten negativ rentierende kurzfristige Anleihen dazu, dass die Menschen Geldmarktfonds meiden, die im Verhältnis zu den Einlagen auf beiden Seiten des Atlantiks seit 2010 stagnieren. Laut Crane Data zahlen Geldmarktfonds in den USA derzeit 4,8 Prozent. Dies ist ein harter Wettbewerb, insbesondere für kleinere Kreditgeber, die nach der Bankenkrise im März als riskant gelten. Bei einzelnen Sparern kann es oft eine Weile dauern, bis sie auf der Suche nach Rendite sind. Aber jetzt sind sie an der Sache dran: Die Bestände an Geldmarktfonds in den USA sind auf Rekordniveau gestiegen. Die Bank of England stellte kürzlich fest, dass britische Haushalte im Mai das höchste jemals verzeichnete Geldvolumen von Banken abgezogen haben, was teilweise durch einen Zufluss in Termineinlagen ausgeglichen wurde.


   Frankreich und Niederlande gelten als Vorreiter 

"Wegen höherer Renditen und geringerem Risiko wird sich der Abzug von Bankeinlagen beschleunigen, und wir gehen davon aus, dass wir in den kommenden Monaten einen Massenabzug von Bankeinlagen erleben werden", sagt Octavio Marenzi. Er ist Chef des Beratungsunternehmens Opimas.

Viele Analysten scheinen anderer Meinung zu sein und führen eine Reihe von Gründen an, warum die Einlagen-Betas insbesondere bei Großbanken länger niedrig bleiben. Diese Institute sind stärker konzentriert, und benutzerfreundliche Online-Banking-Applikationen könnten ihr Einlagengeschäft stärker machen als in der Vergangenheit.

Andererseits lässt sich für Banken als Ganzes auch das Gegenteil behaupten. Digitale Plattformen haben es Sparern erleichtert, nach Produkten mit höherer Rendite zu suchen und ihr Geld entsprechend umzuschichten, sei es in Geldmarktfonds oder in die Angebote neuer Online- und Fintech-Akteure, die neue Girokonten dominieren. Europa könnte hier ein natürliches Experimentierfeld bieten. Banken in Frankreich und den Niederlanden, Länder mit modernen Finanzökosystemen, die mehr Fintech-Optionen umfassen, haben die Einlagenzinsen weit über denen in Italien, Spanien und Portugal erhöht, wie Daten von Jefferies-Analysten nahelegen.

Eine neue Ära hoher Zinsen birgt viele Unsicherheiten in sich. Es ist eine gefährliche Annahme, davon auszugehen, dass die Einleger die großen Verlierer bleiben.

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July 13, 2023 10:32 ET (14:32 GMT)