Die vom Staat vor der Pleite bewahrte Lufthansa erholt sich nur langsam von den schweren Folgen der Corona-Pandemie - so langsam, dass Lufthansa-Chef Carsten Spohr jetzt mit den Gewerkschaften die Geduld verliert.

Die Verhandlungen mit den Vertretern von Piloten und Bodenpersonal seien so schleppend, dass das gemeinsame Ziel, die Belegschaft ohne Kündigungen zu schrumpfen, in Deutschland nicht mehr realistisch sei, erklärte er am Donnerstag. Nach mehr als 60 Verhandlungstagen mit der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) sei er enttäuscht, dass noch kein Krisenpakt gelungen sei. "Wir haben verhandelt, verhandelt, verhandelt", sagte der Chefpilot. "Wir haben keine Zeit mehr." Alle anderen Airlines hätten mit dem Stellenabbau begonnen - ob mit oder ohne Einigung mit der Gewerkschaft.

Die VC, Verdi und die Flugbegleitergewerkschaft UFO reagierten mit Unverständnis auf die Drohung, die auch Verhandlungstaktik sein kann. Denn Spohr ließ bei den noch laufenden Gesprächen noch eine Hintertür offen: Wenn es andere Lösungen gäbe, könnte eine Kündigung im letzten Moment verhindert werden. "Es ist immer noch unser Wunsch." Die Lufthansa geht von einem Personalüberhang weltweit von 22.000 Vollzeitstellen oder 26.000 Beschäftigten aus. Der Konzern müsse sich auf Dauer verschlanken, betonte Spohr erneut. Mindestens 100 von rund 760 Flugzeugen sollen abgeschafft werden. In Deutschland sind rund 11.000 Stellen gefährdet. Bis Ende Juni gingen weltweit 8300 Männer und Frauen von Bord, sodass der Konzern noch 129.400 Köpfe zählt. Rund 7000 davon wurden im Ausland entlassen oder gingen freiwillig, bei Austrian oder Brussels Airlines und vor allem im Cateringgeschäft.

"Die Verhandlungen laufen noch. Sich jetzt festzulegen darauf, auf betriebsbedingte Kündigungen nicht zu verzichten, ist konträr", sagte der Sprecher der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC), Janis Schmitt. UFO-Geschäftsführer Nicoley Baublies warnte die Lufthansa vor "Torschlusspanik". Die kampferprobte Kabinenvertretung hatte Ende Juni einen Vertrag abgeschlossen, fordert aber noch Regeln zu Abfindungen, damit die bis 14. August geplante Urabstimmung den Deal bestätigt. "Entweder wir tragen das Paket gemeinsam durchs Ziel oder wir müssen die nötigen Zusagen der Lufthansa strittig durchsetzen", spielte Baublies auf die Option Arbeitskampf an. Verdi-Vizechefin Christine Behle warf der Lufthansa eine "Blockadehaltung" in den noch laufenden Verhandlungen vor. Die drei Gewerkschaften boten Sparbeiträge der Beschäftigten an und sind zum sozialverträglichen Stellenabbau bereit, doch es gibt noch viele Streitpunkte. Ein Sozialplan, den es bei Kündigungen geben muss, käme die Lufthansa noch teurer, erklärte Baublies.

TIEFROTE CORONA-BILANZ

Spohr präsentierte Quartalszahlen zum Ausmaß der Krise bei der Lufthansa, die mit neun Milliarden Euro Kapitalspritzen und Krediten von Deutschland sowie Hilfen von der Schweiz, Österreich und Belgien gestützt wird. Mit drei Milliarden Euro erlitt der kürzlich in den MDax abgestiegene Konzern im ersten Halbjahr den höchsten Nettoverlust der Firmengeschichte. Von April bis Juni, als wegen der Reisebeschränkungen in der Pandemie kaum noch Passagierflüge abhoben, brach der Umsatz um 80 Prozent auf 1,9 Milliarden Euro ein. Ohne Lufthansa Technik und die halbwegs gut laufende Luftfracht wären es nur 400 Millionen Euro und ein noch höherer Verlust gewesen.

Beim Blick in die Zukunft ist die Lufthansa pessimistischer geworden: Es werde bis 2024 dauern, bis sich der Luftverkehr auf das Vorkrisenniveau erholt habe. Das ist ein Jahr länger als zu Beginn der Corona-Krise erwartet. Erneute Corona-Ausbrüche in Spanien, die Quarantänepflicht für Reisende nach Großbritannien und vor allem das nur langsame Abflauen der Pandemie in den USA schüren die Angst vor der zweiten Corona-Welle - mit einem erneuten Lockdown.

Europas bisher umsatzstärkste Airline-Gruppe ist in Bezug auf das kommende Jahr auch skeptischer als die Konkurrenten Air France KLM und IAG. "Der Ausblick ist sehr schwierig. Wir sehen nur zwei Drittel der letztjährigen Kapazität in 2021", sagte Spohr. Bis Ende dieses Jahres plant die Lufthansa rund die Hälfte des Vorkrisenangebots. Die französisch-niederländische und die britisch-spanische Gruppe kalkulieren mit bis zu 80 und 76 Prozent. Die Erholung lässt sich Spohr zufolge auf die Formel bringen: Der Tourismus kommt schneller zurück als der Geschäftsreiseverkehr und damit die Kurzstrecke schneller als die Langstrecke. Ein schlechtes Szenario für die Lufthansa, die das meiste Geld mit der Business Class auf Flügen nach Amerika oder Asien verdient. Das alles werde zu einem deutlichem Verlust im Gesamtjahr führen. Analysten rechneten vor den Zahlen mit einem Minus von fünf Milliarden Euro unter dem Strich.