(neu: Alternativplan der Lufthansa)

FRANKFURT (dpa-AFX) - Rettung durch den deutschen Staat oder harte Sanierung in einer Insolvenz - vor dieser Entscheidung stehen die Aktionäre der coronageplagten Lufthansa. An diesem Donnerstag (25. Juni) entscheiden sie auf einer außerordentlichen Online-Hauptversammlung, ob sie der Bundesregierung ein Anteilspaket von 20 Prozent und weitere Bezugsrechte zugestehen. Ja, nein - oder findet sich doch noch ein dritter Weg? Was bei der Lufthansa los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI DER LUFTHANSA:

Die Corona-Pandemie hat die Lufthansa binnen weniger Wochen von einer Vorzeige-Airline im Dax zu einer Pleitekandidatin im MDax gemacht. Weil über Monate hinweg fast alle Flüge ausfielen, der Großteil der Einnahmen ausblieb und sich das Geschäft nur sehr langsam erholen dürfte, droht dem Konzern das Geld auszugehen. Der deutsche Staat hat ein neun Milliarden Euro schweres Rettungspaket geschnürt, das zum Großteil aus stiller Einlage und einem Kredit der Staatsbank KfW besteht, aber auch aus einem dicken Paket neuer Aktien. Daher müssen die Aktionäre dem Deal zustimmen - und an dieser Stelle wird es spannend.

Alle Blicke richten sich auf den Selfmade-Milliardär Heinz Hermann Thiele, der als größter Aktionär mit einem Anteil von 15,5 Prozent den Staatseinstieg im Alleingang verhindern könnte. Grund ist die geringe Beteiligung von weniger als 38 Prozent der Stimmrechte an der Hauptversammlung, die Thiele eine Sperrminorität verschafft.

Thiele hat beklagt, dass das Lufthansa-Management intensiver über die Bedingungen des Rettungspakets hätte verhandeln können. In einem Interview in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) hat er den geplanten starken Staatseinfluss ebenso kritisiert wie die seiner Meinung nach kaum zu erfüllenden Bedingungen für einen Wiederausstieg.

Seine Entscheidung hat der Industrielle, der bereits die Mehrheit am Bremsenhersteller Knorr-Bremse und dem Bahntechnikkonzern Vossloh besitzt, auch nach einem Gespräch mit den Bundesministern Olaf Scholz (SPD) und Peter Altmaier (CDU) vom Montag offen gelassen. In der "FAZ" hatte er jedoch schon betont, dass er sich bei der Lufthansa langfristig engagieren und "nichts blockieren" wolle.

Mit rund 300 Millionen Euro ist die Aktienbeteiligung der kleinste Part des staatlichen Rettungspakets, aber für die Alt-Aktionäre der einzige Hebel. Schließlich würde der Wert ihrer Anteile durch die neuen Aktien für den Bund verwässert. Der Staat soll die Papiere auch noch zum Vorzugspreis von 2,56 Euro erhalten, was rund einem Viertel des jüngsten Börsenkurses entspricht. Ohne die Beteiligung wäre aber das gesamte Rettungspaket gestorben.

Fondsgesellschaften wie DWS und Union Investment wollen daher für die Kapitalmaßnahme stimmen, denn im Fall einer Pleite droht den Anteilseignern der Totalverlust. Auch die Deka-Nachhaltigkeitsexpertin Vanessa Golz erklärt: "Uns Aktionären bleibt nichts anders übrig, als der Kapitalerhöhung für den Einstieg des Staates zähneknirschend zuzustimmen. Ansonsten wäre der Kranich kein Vogel mehr."

In Branchenkreisen wird aber spekuliert, dass der 79 Jahre alte Thiele den verborgenen Plan verfolgen könnte, seinen Einfluss bei Lufthansa noch auszubauen. Allein oder mit Partnern könnte er nach einem von ihm verhinderten Staatseinstieg einen Kredit über mehrere Milliarden Euro anbieten.

Doch auch die Lufthansa hat offenbar einen Alternativplan in der Schublade. Mit diesem könnte die Regierung auch ohne Zustimmung der übrigen Anteilseigner zu einer Beteiligung von 20 Prozent kommen könnte, wie die Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX am Mittwoch aus Unternehmenskreisen erfuhr.

In diesem Fall würde die Lufthansa dem Bund zunächst einen Anteil von etwa zehn Prozent aus genehmigtem Kapital zu dem vorgesehenen Bezugspreis von 2,56 Euro je Aktie verschaffen. Weitere zehn Prozent würde die Regierung bei einer oder zwei regulären Kapitalerhöhungen erwerben, an denen sich auch andere Aktionäre beteiligen könnten. Die stillen Einlagen würde der Staat entsprechend kürzen. Offen blieb, ob sich die Regierung darauf einlassen würde - auch weil sie dann möglicherweise auf einen Teil der erhofften Rendite aus der Rettung verzichten müsste.

Offiziell hat sich der Konzern nach Darstellung von Vorstandschef Carsten Spohr auf ein mögliches Scheitern des Rettungsplans vorbereitet. "Der Vorstand wird, falls die Stabilisierungsmaßnahmen nicht umgesetzt werden können, versuchen, ein sogenanntes Schutzschirmverfahren zu beantragen", heißt es in der Einladung zur Hauptversammlung. Unbedingt verhindert werden soll der abrupte Stopp des Flugbetriebs, ein sogenanntes Grounding. Über notwendige Überbrückungskredite will Spohr in diesem Fall schnell erneut mit dem Staat sprechen.

Der Schutzschirm ist die mildeste Form einer Insolvenz nach deutschem Recht und bereits beim Ferienflieger Condor erprobt. Er gäbe dem weiter amtierenden Management freie Hand, sich kostspieliger Verträge mit Lieferanten, Dienstleistern, Vermietern und auch mit dem eigenen Personal zu entledigen. Auch die Passagiere müssten um die Erstattungen für bezahlte Tickets bangen. Der Konzern mit 138 000 Beschäftigten hat zudem nach eigener Einschätzung 22 000 Stellen zu viel an Bord. Bislang soll das Problem noch einvernehmlich gelöst werden, wobei sich die Verhandlungen über Sparbeiträge des Personals hinziehen.

Die Arbeitnehmer fürchten bei einer Pleite einen Kahlschlag. Nicht umsonst haben die Gewerkschaften nach eigenen Angaben allein für das fliegende Personal in Deutschland Einsparungen im Wert von mehr als einer Milliarde Euro angeboten, wenn es dafür Jobsicherheiten gibt.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Hatten die Lufthansa-Aktionäre schon länger wenig Freude an ihren Anteilen, so kam es 2020 noch schlimmer. Nachdem die Corona-Krise die Finanzmärkte im Februar voll erfasst hatte, rutschte der Kurs bis Ende April um mehr als die Hälfte auf nur noch gut 7 Euro ab.

Bis Anfang Juni ging es bis auf gut 12,50 Euro nach oben. Doch dann machte Thiele seinen möglichen Widerstand publik und sorgte erneut für einen Kursrückgang. Zuletzt pendelte die Aktie zwischen neun und zehn Euro. Damit war der Konzern stellenweise an der Börse gerade noch um die 4,5 Milliarden Euro wert - weniger als die Hälfte des geplanten Hilfspakets und weniger als das, was der Staat dem Konzern über neue Aktien und stille Einlagen an Eigenkapital zuschießen will.

Dabei hatte es vor zwei bis drei Jahren noch ganz anders ausgesehen. Nach der Pleite der einstigen Rivalin Air Berlin war der Kurs der Kranich-Aktie steil in die Höhe geschossen. Anfang 2018 war der Konzern an der Börse in der Spitze zeitweise fast 15 Milliarden Euro wert. Doch während die Lufthansa in den Jahren 2017 bis 2019 im laufenden Geschäft so viel verdiente wie nie zuvor, ging es für die Aktie im Wesentlichen nur noch abwärts. Schon bevor die Pandemie die Börsen erfasste, war ihr Kurs binnen gut zwei Jahren um rund die Hälfte gesunken.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die Stimmung der Branchenexperten hat sich klar gegen die Lufthansa gedreht. 14 der 15 im dpa-AFX Analyser erfassten Analysten, die ihre Einschätzung für die Aktie seit Mai erneuert haben, empfehlen, die Aktie abzustoßen. Einzig Daniel Roeska vom Analysehaus Bernstein rät zum Stillhalten. Die Kursziele der Experten sind zwischen 0,50 und 10 Euro weit gestreut. Selbst die Optimisten sehen die Aktie damit absehbar nicht weit über dem aktuellen Niveau.

Für den Branchenexperten Johannes Braun vom Analysehaus Mainfirst steckt die Airline bei der Hauptversammlung in der Zwickmühle. Entweder blockiere der Investor den Staatseinstieg, was neue Unsicherheiten durch Nachverhandlungen oder sogar eine Insolvenz zur Folge haben könne. Oder Thiele stelle sein Investment in Frage, wodurch plötzlich sehr viele Aktien auf den Markt kommen könnten.

Analyst Mark Manduca von der Citigroup hält drei Szenarien für möglich - und eine Insolvenz ist nicht darunter. Wenn die Aktionäre dem ausgehandelten Rettungsplan zustimmen sollten, dürfte der Aktienkurs zunächst steigen, schätzt er, und die Lufthansa könnte ihr Geschäft in den kommenden Jahren wieder aufbauen. Um die Staatshilfen zurückzuzahlen, müsse sie sich dann jedoch frisches Kapital am Aktienmarkt besorgen. Eine solche Kapitalerhöhung würde den Wert der bisherigen Aktien stark verwässern.

Sollte das geplante Rettungspaket allerdings an Thieles Widerstand scheitern, könnte die Bundesregierung von ihrer geplanten Kapitalbeteiligung kurzfristig wieder abrücken. In diesem Fall könnte die Rettung doch noch gelingen, schreibt Manduca. Und das wäre aus seiner Sicht die beste Lösung für Aktienkurs und Management.

Falls die Regierung in diesem Fall allerdings keine Alternative anbiete, würde der Aktienkurs wohl stark fallen, schätzt Manduca. Er vermutet, dass sich Thiele dann zum Retter der Lufthansa aufschwingen dürfte, weitere Aktien am Markt aufkaufen werde und den Konzern mit einem Kredit von mehr als fünf Milliarden Euro durch die Krise helfen sollte. Der Profit werde sich für ihn wohl erst langfristig einstellen - durch eine gründliche Sanierung des Kranich-Konzerns und eine Abspaltung der Wartungssparte Lufthansa Technik./stw/ceb/