- von Andreas Rinke und Christian Krämer und Rene Wagner

Überraschend groß ist das 130 Milliarden Euro schwere Konjunkturpaket und überraschend positiv das Echo: Die Mischung aus Steuersenkungen, Zuschüssen und Branchenhilfen, mit der die große Koalition die schwerste Rezession der Nachkriegszeit überwinden will, stieß am Donnerstag auf Zustimmung - bei den meisten Ökonomen, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften.

"Dieses starke Signal für Bürger und Unternehmen ist notwendig", sagte Industrieverbands-Präsident Dieter Kempf. Gewerkschafts-Chef Reiner Hoffmann attestierte der Koalition "Handlungsfähigkeit in schwieriger Zeit". Vor allem die Senkung der Mehrwertsteuer und der Verzicht auf eine allgemeine Autokaufprämie waren nicht unbedingt erwartet worden - genauso wenig wie das Volumen von deutlich mehr als 100 Milliarden Euro. Deutschland wolle "mit Wumms" aus der Krise kommen, sagte Vizekanzler Olaf Scholz.

Kritik kam von der Opposition, aber auch aus der Automobilindustrie, die eine Kaufprämie nicht nur für Elektroautos, sondern auch für Fahrzeuge mit Diesel- und Bezinmotoren gefordert hatte. "Ich bin enttäuscht darüber, dass die Kaufprämie für Neufahrzeuge mit der neuesten Technologie für Verbrenner nicht kommt", sagte Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht der "Automobilwoche" und warnte vor dem Verlust vieler Arbeitsplätze. CSU-Chef Markus Söder sprach dennoch von einem "großen Autopaket", denn durch die Mehrwertsteuer-Senkung würden auch die Käufer von Autos mit Verbrennungsmotoren profitieren. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace verpasste dem 57-Punkte-Paket immerhin das Etikett "blassgrün". FDP-Fraktionsvize Michael Theurer nannte es allerdings ein "wildes Sammelsurium an unausgegorenen, sehr teuren aber ineffizienten Vorschlägen."

Die große Koalition hatte am Mittwochabend nach einem 21-stündigen Verhandlungsmarathon das Konjunkturpaket gegen die Corona-Krise vorgestellt, das 2020 und 2021 vor allem mittelständische Unternehmen und Kommunen entlasten sowie Konsumanreize für Bürger setzen soll. "Es ist klar, dass das Ganze eine mutige Antwort braucht", betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Blick auf den schweren Wirtschaftseinbruch durch die Corona-Krise. Für den Mittelstand sieht das Programm Überbrückungsgelder von bis zu 25 Milliarden Euro für die Monate Juni bis August vor. Laut Carsten Brzeski, Deutschland-Chefvolkswirt der Bank ING, summieren sich die gesamten Konjunkturmaßnahmen gegen die Corona-Krise auf knapp zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes. "Ich denke, dass mehr kaum geht", sagte er. "Das setzt alles an den richtigen Stellen an."

SCHULDENQUOTE STEIGT AUF MEHR ALS 75 PROZENT

Das Konjunkturpaket macht einen zweiten Nachtragshaushalt notwendig. Finanzminister Scholz deutete an, dass dieser ein Volumen von rund 25 Milliarden Euro haben dürfte. Aus dem ersten Nachtragshaushalt seien 65 Milliarden Euro noch nicht abgeflossen. "Der Nachtragshaushalt sollte nicht auf Kante genäht werden", forderte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Den Anteil der Bundesausgaben an dem Paket für 2020 beziffert die Koalition auf 90 Milliarden Euro. Scholz rechnet damit, dass die Schuldenquote auf mehr als die bisher erwarteten 75 Prozent steigen wird. Bisher lag sie bei rund 60 Prozent.

Die Mehrwertsteuer-Senkung von 19 auf 16 Prozent sowie beim ermäßigten Satz von sieben auf fünf Prozent ab der zweiten Jahreshälfte soll den Konsum anregen. "Das hilft allen und nicht nur einzelnen Branchen", kommentierte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer den Schritt. Laut SPD-Chef Norbert Walter-Borjans entspricht die Entlastung rund 20 Milliarden Euro. Sie komme Geringverdienern überproportional zugute. Nun sei entscheidend, dass die Betriebe die Entlastung auch an die Kunden weitergäben und Preise senkten, mahnten sowohl Scholz als auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. "Wir machen sehr deutlich, dass wir erwarten, dass es Eins-zu-Eins weitergegeben wird", sagte sie im ZDF.

Kommunen sollen wegen des Einbruchs bei den Gewerbesteuern in der Corona-Krise massiv entlastet werden. Der Bund will künftig etwa drei Viertel statt derzeit knapp die Hälfte der Miet- und Heizkosten von Hartz-IV-Beziehern übernehmen. Zudem will der Bund mehr Geld für Investitionen in Schulen oder den öffentlichen Nahverkehr beisteuern. Laut Förderbank KfW liegt der Investitionsrückstand der Gemeinden bundesweit bei 147 Milliarden Euro - gegenüber dem Vorjahr sind das neun Milliarden mehr. Die von Scholz vorgeschlagene Übernahme der Altschulden der Kommunen wurde allerdings nicht beschlossen.