Die Preise in der Euro-Zone sind im Mai fast gar nicht mehr gestiegen.

Das Statistikamt Eurostat teilte am Freitag mit, die Inflation liege nach vorläufigen Erkenntnissen bei 0,1 Prozent. Das ist der niedrigste Stand seit vier Jahren. Im April waren es noch 0,3 Prozent.

"So sehr sich die EZB auch Inflation wünscht, das wird nichts", sagte Ökonom Thomas Gitzel von der Liechtensteiner VP Bank. "Die gefallenen Energiepreise machen derzeit einen Strich durch die Rechnung." Auch andere Experten erwarten, dass die Inflationsrate in den nächsten Monaten niedrig bleiben wird. Denn der Euro-Zone mit ihren 19 Mitgliedsländern droht dieses Jahr wegen der Coronavirus-Krise ein historischer Wirtschaftseinbruch von rund zehn Prozent.

Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt als optimalen Wert für die Wirtschaft eine Inflationsrate von knapp zwei Prozent an, verfehlt dieses Ziel aber seit Jahren trotz niedriger Zinsen und billionenschwerer Anleihekäufe. Die größten Preissteigerungen gab es laut Eurostat im Mai bei Lebensmitteln, Alkohol und Tabak mit 3,3 Prozent, Dienstleistungen verteuerten sich um 1,3 Prozent. Industriegüter wurden dagegen nur 0,2 Prozent teurer. Bei Energie gab es einen Rückgang von zwölf Prozent. Das geht auf den Preisrutsch am Ölmarkt zurück.

Italiens Notenbankchef Ignazio Visco sagte, die Geldpolitik müsse sich gegen Deflationsrisiken stemmen. Fallende Preise gelten als gefährlich, weil Unternehmen dann kaum noch investieren und sich Konsumenten zurückhalten. Die EZB sei bereit, alle Instrumente einzusetzen, damit jede Branche von den aktuell günstigen Finanzierungsbedingungen auch profitieren könne, so Visco.

Die Commerzbank verwies darauf, dass die Kernteuerungsrate, bei der besonders schwankungsanfällige Teile ausgeklammert werden, den zweiten Monat in Folge bei 0,9 Prozent verharrte. Die VP Bank begründete die niedrige Inflation mit der Corona-Krise, die in vielen Euro-Ländern zu steigender Arbeitslosigkeit führt. Womöglich werde es auf Jahre nur geringe Lohnssteigerungen geben, so Ökonom Gitzel.

Unternehmen im Euro-Raum haben sich unterdessen im April so kräftig mit Bank-Krediten eingedeckt wie seit über elf Jahren nicht mehr. Geldhäuser reichten 6,6 Prozent mehr Darlehen an Firmen aus als ein Jahr zuvor, wie die EZB in Frankfurt mitteilte. Im März hatte es bereits ein kräftiges Plus von 5,5 Prozent gegeben. Geschäfts- und Fabrikschließungen im Zuge der Pandemie führten dazu, dass Zehntausenden Firmen die Einnahmen wegbrachen. Um zu überleben, decken sie sich mit Krediten ein.