PARIS/LONDON (awp international) - Die weichende Brexit-Unsicherheit nach dem Wahlausgang in Grossbritannien und die Teil-Einigung im US-chinesischen Handelskonflikt haben die europäischen Börsen am Freitag teils deutlich angeschoben. Zum Handelsschluss hin aber liess der Schwung wieder nach.

Teil der Vereinbarung im Handelskonflikt ist die Aussetzung einer neuen Runde von US-Strafzöllen auf chinesische Waren, die am Wochenende hätten in Kraft treten sollen. Die USA hätten sich auch verpflichtet, bereits verhängte Zölle teilweise zurückzunehmen, sagte Chinas Vize-Handelsminister Wang Shouwen. Die Aussicht auf den Deal hatte den Startschuss für die Kursrally am Vormittag gegeben.

Der EuroStoxx 50 war mit in der Spitze fast 3766 Zählern auf den höchsten Stand seit April 2015 geklettert und ging 0,67 Prozent höher bei 3731,07 Punkten aus dem Handel. Auf Wochensicht bedeutet dies ein Plus von 1,05 Prozent.

In Paris legte der Cac-40 am Freitag um 0,59 Prozent auf 5919,02 Punkte zu. Nach dem klaren Sieg von Premierminister Boris Johnson und seinen konservativen Tories zog der Londoner FTSE 100 um 1,10 Prozent auf 7353,44 Punkte an - ungeachtet des starken britischen Pfunds, das zum US-Dollar und zum Euro in die Höhe schnellte und so Exporte verteuern kann. Die lange Zeit lähmende Brexit-Unsicherheit weicht jetzt aus dem Markt, Johnson kann das Land am 31. Januar zu den Bedingungen seines Austrittsabkommens aus der Europäischen Union (EU) führen.

Der klare Wahlsieg für Grossbritanniens Premier Boris Johnson und seine konservative Partei ist nach Ansicht deutscher Experten eine gute Nachricht für die Kapitalmärkte. "Das Randrisiko eines 'harten Brexits' ist vom Tisch", sagte der Chefökonom des Vermögensverwalters Union Investment, Jörg Zeuner. "Immerhin wird die hohe Unsicherheit erheblich vermindert", sagte auch Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken.

Die Ökonomen sehen allerdings weiter unsichere Zeiten auf die Märkte zukommen. Denn auch nach dem Brexit stehen der EU und Grossbritannien komplexe Verhandlungen unter anderem zu einem Freihandelsabkommen bevor. Stefan Grosse, Ökonom bei der NordLB, geht davon aus, dass die Verhandlungen Jahre dauern werden. Diese Meinung teilt auch Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank: "Man mag es sich kaum vorstellen, doch die Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen werden vermutlich noch komplexer als die bisherigen zum EU-Austritt."

Und auch wenn die durch die Wahl gewonnene Klarheit sich erstmal positiv auswirkt, ist der Brexit aus wirtschaftlicher Sicht den Ökonomen zufolge ein Irrweg. "Die Briten werden einen hohen wirtschaftlichen und politischen Preis für ihre scheinbare Unabhängigkeit bezahlen", sagte Stefan Grosse von der NordLB.

Allgemein wurden europaweit stark konjunkturabhängige Werte wie etwa der Autosektor von den guten Nachrichten angetrieben. Die Volkswagen-Vorzüge setzten sich mit einem Kurssprung von rund 2 Prozent an die EuroStoxx-Spitze.

Bester Sektor in Europa waren die Reise- und Freizeitwerte . Papiere von Fluggesellschaften legten hier deutlich zu. Auch alle anderen Branchen verzeichneten Gewinne.

Banken zeigten sich europaweit ebenfalls sehr fest, vor allem aber in Grossbritannien. Die nachlassende politische Unsicherheit nach der Wahl sei für die Institute positiv, kommentierten die Volkswirte von Goldman Sachs./la/fba