Brüssel/Budapest (Reuters) - Im Streit über demokratische Standards und Korruption stoppt die EU-Kommission Milliardenhilfen für Ungarn.

Das Spitzengremium der Europäischen Union billigte zwar am Mittwoch die Pläne der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban für Konjunkturhilfen zur Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie. Allerdings werden die dafür geplanten 5,8 Milliarden Euro zurückgehalten, bis Ungarn alle Bedingungen der EU erfüllt. Zudem forderte die Kommission alle Mitgliedsstaaten erneut auf, die für Ungarn bestimmten 7,5 Milliarden Euro zur Angleichung der Lebensverhältnisse im Staatenbund einzufrieren.

Der Entscheidung der Kommission waren monatelange Diskussionen mit Orbans rechter Regierung über die Wahrung von Menschenrechten und demokratischen Standards, der Unabhängigkeit der Justiz, den Rechten von Minderheiten, der Medienfreiheit und der Bekämpfung von Korruption vorausgegangen. Bezüglich der Rechtstaatlichkeit habe sich Ungarn zu bedeutenden Reformen bekannt, erklärte Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis. "Erst wenn diese Reformen vollständig umgesetzt sind, wird der Zugang zum EU-Rettungsfonds freigeschaltet." Der EU zufolge muss Ungarn noch 27 "Super-Meilensteine" erfüllen, etwa zur Bekämpfung der Korruption und Reformen der Rechtsstaatlichkeit.

UNGARN ERWARTET GELDER IM KOMMENDEN JAHR

Der für die Verhandlungen mit der EU zuständige ungarische Minister Tibor Navracsics sagte, er hoffe auf eine Freigabe der Gelder im Laufe des kommenden Jahres. Er wies darauf hin, dass einige der dafür notwendigen Gesetze nur noch verabschiedet werden müssten. In dem selbst gesetzten Zeitplan gebe es noch Fristen, sagte er. "Wir sind noch nicht an der Ziellinie." Ungarn stehe im ständigen Dialog mit der Kommission und sei zu Kompromissen bereit. Orbans Stabschef Gergely Gulyas zeigte sich zuversichtlich, in der zweiten Hälfte 2023 EU-Hilfen in Höhe von mehr als sechs Milliarden Euro zu erhalten.

EU-Diplomaten gehen nun davon aus, dass die Zustimmung der Kommission zum ungarischen Konjunkturplan den Widerstand der Regierung in Budapest bei mehreren EU-Projekten aus dem Weg räumen dürfte. So stellt sich Ungarn bislang gegen Pläne, wonach die Ukraine im kommenden Jahr 18 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt erhalten soll. Zudem zeigten sich die Insider hoffnungsvoll, dass Ungarn nun sein Veto in der EU gegen die geplante weltweite Mindeststeuer für Unternehmen fallenlassen könnte, die von der OECD vereinbart worden ist. In Brüssel wurde der ungarische Widerstand in beiden Punkten als Druckmittel gesehen, um eine Zustimmung zum Corona-Hilfsplan zu erzwingen.

Ungarn dürfte die Entscheidung der EU-Kommission allerdings zunächst hart treffen. Allein die 7,5 Milliarden Euro aus dem sogenannten Kohäsionsfonds der EU zur wirtschaftlichen Angleichung entsprechen fünf Prozent der geschätzten Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr.

Neben Ungarn befindet sich auch Polen im ständigen Streit mit der EU über Themen wie Rechtstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz. Auch hier werden Hilfsgelder in Milliardenhöhe zurückgehalten. Polen hat inzwischen eine viel kritisierte Disziplinarkammer für Richter wieder abschafft. Am Dienstag wurde zudem eine Sperre gegen einen regierungskritischen Richter aufgehoben, der als Vorkämpfer gegen die umstrittene Justizreform der Regierung in Warschau gilt.

(Weitere Berichterstattung Krisztina Than; Geschrieben von Hans Busemann und Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

- von Jan Strupczewski