Damaskus/Berlin (Reuters) - In Syrien warnt Interimsregierungschef Mohammed al-Baschir vor übergroßen Hoffnungen auf eine rasche Besserung der allgemeinen Lage im Land.
"In den Kassen gibt es nur syrische Pfund, die wenig oder nichts wert sind", sagte er in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der italienischen Zeitung "Il Corriere della Sera". "Wir haben keine Devisen, und was Kredite und Anleihen angeht, so sammeln wir immer noch Daten. Also ja, finanziell geht es uns sehr schlecht." Dessen ungeachtet versprach Baschir, Millionen ins Ausland geflüchteter Syrer trotz großflächiger Zerstörungen in die Heimat zurückzuholen. In westlichen Ländern liefen diplomatische Bemühungen auf Hochtouren, um sich auf die neue Lage einzustellen.
Der Rebellenanführer Abu Mohammed al-Golani kündigte am Mittwoch an, die Verantwortlichen des Regimes des gestürzten Präsidenten Baschar al-Assad für Folter und Mord würden zur Rechenschaft gezogen. Sie könnten nicht mit Gnade rechnen. "Wir werden sie in Syrien verfolgen, und wir fordern Länder auf, Geflohene auszuliefern, damit wir Gerechtigkeit walten lassen können", schrieb er in einer Erklärung, die auf dem Telegram-Kanal des syrischen Fernsehens veröffentlicht wurde.
TREFFEN EUROPÄISCHER AUSSENMINISTER IN BERLIN
Am Donnerstag wollen sich Außenminister mehrerer europäischer Staaten in Berlin treffen, um über die neue Situation zu beraten. "Wir sehen einen Moment der Hoffnung", sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Die Lage sei aber "alles andere als stabil". Die Rückkehr syrischer Flüchtlinge müsse in Abstimmung mit Partnern in Europa und den Vereinten Nationen erfolgen, erklärte sie weiter. Sie kündigte an, Deutschland werde acht Millionen Euro an humanitärer Hilfe für Syrien bereitstellen. Baerbock empfängt am Donnerstag ihre Amtskollegen aus Frankreich, Polen, Spanien, Italien, Großbritannien und der Ukraine sowie die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas. US-Außenminister Antony Blinken will noch am Mittwoch mit Ziel Jordanien und Türkei abfliegen, um Gespräche über Syrien zu führen.
In Moskau versuchte die russische Regierung den Sturz ihres Verbündeten Assad herunterzuspielen und pochte gleichzeitig auf den Erhalt der russischen Stützpunkte in Syrien. Angesprochen auf den verlorenen Einfluss in dem arabischen Land sagte Regierungssprecher Dmitri Peskow nur, der Fokus der russischen Politik liege auf der Ukraine. Man stehe mit den neuen Machthabern in Kontakt.
Die Sprecherin des Moskauer Außenministeriums, Maria Sacharowa, erklärte, russische Einrichtungen in Syrien seien durch internationales Recht geschützt. Sie rief alle Parteien in dem Land auf, sich verantwortungsvoll zu verhalten. Russland unterhält in Syrien einen Hafen und einen Flugplatz.
IRAN SIEHT USA UND ISRAEL HINTER STURZ ASSADS
Die neben Russland zweite wichtige Stütze Assads, der Iran, erklärte, der Sturz des Präsidenten sei auf Machenschaften der USA und Israels zurückzuführen. Zudem sei eine "Nachbarregierung" beteiligt gewesen, sagte das Oberhaupt der Islamischen Republik, Ajatollah Ali Camenei, mit Blick auf die Türkei. Eine Niederlage im Ringen um Einfluss in der Region sah Chamenei nach eigenen Worten nicht. Die vom Iran angeführte sogenannte Achse des Widerstandes werde an Stärke gewinnen. Der Iran ist stark und mächtig - und wird noch stärker werden", sagte er.
Sowohl für Russland als auch für den Iran war Syrien bislang von entscheidender Bedeutung für die Einflussnahme im Nahen Osten. Der Iran etwa versorgte die libanesische Hisbollah-Miliz über Syrien mit Nachschub. Russland braucht für seine Präsenz im Mittelmeer und in nordafrikanischen Staaten die Stützpunkte in Syrien.
Nach einer nur wenige Tage dauernden Blitzoffensive hatten die Rebellen von ihrer Hochburg im Nordwesten des Landes die Stellungen der Armee fast kampflos überrannt und am Wochenende die Hauptstadt Damaskus eingenommen. Sie werden von der Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) angeführt. Die HTS ist ein ehemaliger Ableger des Islamisten-Netzwerks Al-Kaida. Obwohl sie sich von diesen Ursprüngen nach eigenen Angaben gelöst hat, wird sie von der UN, den USA, der EU und der Türkei als Terror-Organisation eingestuft.
(Bericht von Maya Gebeily, Timour Azhari, Suleiman al-Khalidi, Firas Makdesi, Ece Toksabay, Mert Ozkan und David Brunnstrom, geschrieben von Hans Busemann, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)