- von Natalia Zinets und Max Hunder

Kiew (Reuters) - Russland ist offen für eine internationale Inspektion des unter Beschuss geratenen ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja.

Das Außenministerium in Moskau erklärte am Montag, Inspekteure der UN-Atomenergiebehörde IAEA sollten das Kraftwerk im Südosten der Ukraine untersuchen. Der Ukraine warf Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa vor, ganz Europa als Geisel zu nehmen. Die Regierung in Kiew verhindere eine internationale Inspektion des Kraftwerks und sei für den Beschuss verantwortlich. Russland und die Ukraine haben sich in den vergangenen Tagen gegenseitig beschuldigt, Europas größte Nuklearanlage beschossen zu haben.

Wegen der Entwicklungen steigt die Furcht vor einem Super-GAU ähnlich wie im ukrainischen Tschernobyl 1986. "Jeglicher Angriff auf ein nukleares Kraftwerk ist eine selbstmörderische Sache", sagte UN-Generalsekretär Antonio Guterres bei einem Besuch in Japan. Guterres forderte einen schnellen Zugang der IAEA-Inspekteure. Auch der Ständige Vertreter der Ukraine bei der IAEA, Jewhenij Zymbaljuk, forderte rasch eine internationale Inspektion des Atomkraftwerks. "Wir brauchen diese Inspektion so schnell wie möglich, spätestens Ende dieses Monats. Das ist unser Ziel", sagte Zymbaljuk in Wien. Sollte das größte Atomkraftwerke in Europa beschädigt werden, würde das gewaltige Konsequenzen, nicht nur für die Ukraine haben.

Der Chef des staatlichen ukrainischen Nuklear-Konzerns Energoatom, Petro Kotin, forderte die Stationierung von Friedenstruppen in dem Kraftwerk. Russische Truppen haben das AKW seit Anfang März besetzt, es wird aber noch von ukrainischen Technikern betrieben. Kotin forderte im ukrainischen Fernsehen, dass die Weltgemeinschaft dafür sorgen müsse, die Besatzer zu vertreiben und eine entmilitarisierte Zone zu errichten, die von Friedenstruppen überwacht werde. Nach russischen Angaben verlief der Betrieb des mehrfach beschossenen Atomkraftwerks am Montag normal. Militär und Vertreter der russischen Atomaufsicht seien vor Ort und beobachteten die Lage, zitierte die Nachrichtenagentur Interfax den von Russland eingesetzten Leiter der lokalen Provinzverwaltung.

Russland wirft der Ukraine vor, das Atomkraftwerk am Sonntag beschossen zu haben. Dabei seien Starkstromleitungen beschädigt worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Deshalb habe die Produktion der Anlage gedrosselt werden müssen. Der Kreml forderte den Westen am Montag auf, die ukrainische Regierung dazu zu bewegen, den Beschuss zu beenden. Die Ukraine weist die Darstellung zurück, das AKW ins Visier zu nehmen. Vielmehr hatten die ukrainischen Behörden am Sonntag erklärt, bei russischem Beschuss des Kraftwerks am Samstagabend sei ein Arbeiter verletzt worden. Die Angaben aus dem Kriegsgebiet können unabhängig nicht überprüft werden.

UKRAINE ERHÄLT ERSTE "GEPARDEN" AUS DEUTSCHLAND

Die von Russland in Saporischschja eingesetzte Verwaltungsbehörde unternahm einem Medienbericht zufolge unterdessen weitere Schritte für eine Volksabstimmung über einen Anschluss an Russland. Der Verwaltungschef der Region habe ein Dekret für eine solches Referendum unterzeichnet, meldete die Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Russland mit einem endgültigen Abbruch von Gesprächen gedroht, wenn die Regierung in Moskau eine Annexion weiterer ukrainischer Gebiete vorantreibe. Russland hatte bereits 2014 die Krim annektiert und sich dabei auf ein international nicht anerkanntes Referendum berufen.

Im Kriegsgeschehen schossen die russischen Streitkräfte nach eigenen Angaben im Süden und Osten der Ukraine 19 in den USA hergestellte Raketen ab, die vom Mehrfachraketenwerfer-System Himars abgefeuert worden seien. Zudem seien in der Nähe des ostukrainischen Kramatorsk mehrere Himars-Fahrzeuge zerstört worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Die Ukraine hat nach eigenen Angaben die ersten drei "Gepard"-Flugabwehrpanzer aus Deutschland erhalten. Sie würden zum Einsatz kommen, um wichtige Infrastruktur-Einrichtungen zu verteidigen, teilte das südliche Militärkommando mit. US-Außenminister Antony Blinken warnte, wenn es zugelassen werden, dass Russland sich Teile der Ukraine einverleiben könne, wäre dies ein globaler Dammbruch.