Bern (awp) - Der Einbruch der Schweizer Wirtschaft nach dem Corona-Lockdown fällt gemäss Einschätzung der Ökonomen des Bundes deutlich geringer aus als noch vor ein paar Monaten erwartet. Entsprechend dürfte auch die Arbeitslosenquote weniger stark steigen als befürchtet. Wegen der Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie bleiben die Prognose-Risiken aber hoch.

Konkret rechnet die Expertengruppe des Bundes für das laufende Jahr 2020 noch mit einem Einbruch des realen Bruttoinlandproduktes (BIP) um 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am Montag mitteilte. Bei der letzten offiziellen Prognose im Juni waren die Bundesökonomen noch von einem Minus von 6,2 Prozent ausgegangen.

Kurz nach dem Lockdown im Frühling war gar noch ein deutlich schärferer Einbruch erwartet worden. So war das Seco Ende April von einem BIP-Rückgang um 6,7 Prozent ausgegangen, die pessimistischsten Einschätzungen von Ökonomen beliefen sich auf gegen -10 Prozent.

Dass sich die Wirtschaft besser erholt als befürchtet, zeigt sich nun aber seit einiger Zeit. Entsprechend haben praktisch alle Ökonomen ihre Prognosen für das laufende Jahr etwas angehoben, wobei das Seco mit der aktuellen Prognose nun im obersten Bereich der Schätzungen steht.

Zügige Aufholbewegung

Mit der Lockerung der gesundheitspolitischen Massnahmen habe Ende April eine zügige Aufholbewegung der Schweizer Wirtschaft eingesetzt, schreibt denn auch das Seco in der heutigen Mitteilung. Sowohl die Konsum- als auch die Investitionsnachfrage hätten im zweiten Quartal die Erwartungen übertroffen. Und die Kurzarbeit sei deutlich weniger stark in Anspruch genommen worden als noch im Juni erwartet. In der Summe habe sich das erste Halbjahr damit weniger negativ dargestellt als vor ein paar Monaten noch angenommen.

Die Bundesökonomen gehen davon aus, dass sich die Aufholbewegung im dritten Quartal fortgesetzt hat, wobei die genauen Daten dazu allerdings erst Anfang Dezember publiziert werden.

Einige Wirtschaftsbereiche, darunter Teile des Gastgewerbes, seien von der geringen internationalen Reisetätigkeit der Schweizer Bevölkerung gestützt worden, so das Seco. Andere Bereiche hätten sich hingegen weniger stark erholt; dies aufgrund einer grösseren Abhängigkeit von der internationalen Konjunktur oder einer direkteren Betroffenheit durch die Corona-Pandemie wie etwa der internationale Tourismus.

Die Erholung bleibe somit unvollständig, die Vorjahresstände seien in den meisten Bereichen bisher nicht erreicht worden. Dass die Wirtschaftserholung noch nicht allzu weit fortgeschritten ist, zeigt sich etwa an der Tatsache, dass im September fast 50'000 Personen mehr arbeitslos waren als ein Jahr zuvor.

Trotzdem haben sich auch die Perspektiven für den Arbeitsmarkt in den letzten Monaten deutlich verbessert. Die Arbeitslosigkeit wird im Durchschnitt 2020 noch bei 3,2 Prozent erwartet, nachdem im Juni noch ein Wert von 3,8 Prozent prognostiziert worden war.

"Moderate Erholung"

Für den weiteren Verlauf erwarten die Konjunktur-Experten des Bundes nun eine Fortsetzung der Erholung in einem "moderaten Tempo". Das BIP sollte gemäss der aktuellen Prognose nächstes Jahr um 4,2 Prozent zulegen bzw. um 3,8 Prozent bei der um Sport-Events bereinigten Prognose. Diese beiden Werte sind rund 1 Prozent tiefer als noch bei der letzten Prognose.

Mit dieser Schätzung würde die Wirtschaftsleistung der Schweiz laut Seco erst gegen Ende 2021 wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Dies setze zudem voraus, dass weder in der Schweiz noch bei den wichtigsten Handelspartnern ein weiterer breitflächiger Lockdown verhängt werde. Dann sollten sich Konsum- und Investitionsausgaben im Inland schrittweise erholen, wenn auch belastet durch Einkommensausfälle und die weiterhin grosse Unsicherheit.

Das internationale Umfeld dürfte nach Einschätzung des Bundesökonomen 2021 von einer gewissen Heterogenität geprägt sein. So würden die tourismusorientierten südeuropäischen Länder besonders stark unter der Corona- Krise leiden. Andere Länder, darunter die USA und Deutschland, sollten sich dagegen zügiger erholen. Insgesamt kehre die Weltwirtschaft jedenfalls nur zögerlich zu den Vorkrisenständen zurück.

Viele Risiken

Das wiederum bremse auch die konjunktursensitiven Bereiche der Schweizer Exportwirtschaft. Am Arbeitsmarkt dürfte sich die Lage daher nur langsam verbessern: Gemäss Prognose wird die Arbeitslosigkeit 2021 auf jahresdurchschnittliche 3,4 Prozent ansteigen und die Beschäftigung nur geringfügig wachsen.

Insgesamt sind die Prognosen allerdings grossen Risiken unterworfen. Die grössten Konjunkturrisiken bestehen weiterhin im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Reaktionen der Wirtschaftsakteure und der Politik, so das Seco.

Sollte etwa bald ein Impfstoff zugelassen werden, könnte sich die Konjunktur schneller erholen als erwartet. Das Gegenteil wäre der Fall, wenn es zu erneuten Lockdowns im grossen Stil kommen würde. Daneben erwähnt das Seco aber auch andere Risiken wie ein "harter" Brexit, Aufwertungsdruck auf den Franken oder eine Korrektur am hiesigen Immobilienmarkt.

uh/rw