Von Julie Steinberg, Laurence Norman und Joe Wallace

LONDON (Dow Jones)--Versicherungen könnten in der sich hochschraubenden Sanktionsspirale das nächste Mittel der EU gegen Russland sein. EU-Beamte haben jetzt vorgeschlagen, die Versicherung von Schiffen zu verbieten, die russisches Öl transportieren. Damit soll Russlands Zugang zu den globalen Ölmärkten und zu den Einnahmen, mit denen es seine militärische Invasion in der Ukraine finanziert, blockiert werden.

"In der Tat wäre dies ein sehr starkes Hindernis für den Export von russischem Rohöl", erläutert Lars Barstad, Frontline-Chef, die eine der größten Tankerflotten der Welt besitzt. Laut Barstad würden seine Schiffe kein Öl transportieren, sofern die Reederei diese nicht gegen Gefahren wie Umweltschäden versichern könne.

Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) machten die Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor 2021 rund 45 Prozent des russischen Staatshaushalts aus. Seit dem Einmarsch Moskaus in die Ukraine fließt weiterhin russisches Rohöl, wenn auch mit zunehmenden Schwierigkeiten.


   Weitere Schwierigkeit 

Das Versicherungsverbot ist Teil der sechsten Reihe von Restriktionen, die die EU gegen Russland vorbereitet, darunter ein Embargo für die Einfuhr von russischem Öl innerhalb der EU bis zum Jahresende. Keine Frage: Die Maßnahme innerhalb Europas würde Russland von dem traditionell größten Exportmarkt für sein Öl abschneiden.

Aber Sanktionen gegen Versicherungen würden die Ausfuhren an Käufer in Asien und anderswo behindern, da europäische Unternehmen den größten Teil des weltweiten Ölhandels versichern. Diese Taktik wurde von Europa vor einem Jahrzehnt erfolgreich angewandt, um die iranischen Ölexporte einzuschränken, als Teil der Bemühungen, Teheran zu Verhandlungen über sein Atomprogramm zu zwingen. Der Versicherungsvorschlag war Gegenstand harter Verhandlungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten, die ihn alle absegnen müssen, um ihn umzusetzen.


   Große Reederei-Nationen der EU treten zaghaft auf die Bremse 

Griechenland, Zypern und Malta, große Schifffahrtsnationen, haben Bedenken geäußert. Einige griechische Reeder haben Verträge mit großen Ölgesellschaften wie Chevron und Shell, um russisches Rohöl zu Kunden in China und Indien zu transportieren. Die Europäische Kommission, die zuletzt einen neuen Entwurf der Sanktionsvorschläge vorlegte, reagierte auf die Bedenken der griechischen Reeder. Sie schlug vor, den Zeitraum vor dem Inkrafttreten von einem auf drei Monate zu verlängern.

Diplomaten zufolge haben Brüssel und die größeren Mitglieder des Blocks, wie Deutschland, auch versprochen, die Diskussionen in der G7 zu nutzen, um Zusagen von Ländern wie Japan, Kanada und den USA einzuholen, damit griechische, zypriotische und maltesische Schifffahrtsunternehmen nicht unterlaufen werden. Deutschland hat in diesem Jahr die Präsidentschaft der G7 inne. Das könnte ausreichen, um Unterstützung für das Versicherungsverbot zu gewinnen, berichten Diplomaten.

Schiffseigner und Händler schließen Versicherungspolicen ab, um sich gegen die enormen potenziellen Kosten zu schützen, die durch Tankerschäden, Ölverschmutzungen und andere Gefahren entstehen können. Eine davon ist die Kaskoversicherung, die physische Schäden an Schiffen abdeckt und in der Regel bei Lloyd's of London abgeschlossen wird.


   Breite Marktabdeckung der "P&I Clubs" 

Die Schutz- und Entschädigungsversicherung deckt dagegen die Haftung gegenüber Dritten ab, zum Beispiel bei Kollisionen oder Verschmutzung. Die International Group of P&I Clubs, die Mitglieder in Großbritannien, Norwegen, der EU und anderswo umfasst, bietet P&I-Versicherungen (Protection and Indemnity) für - nach Tonnage - etwa 95 Prozent der weltweiten Tankerflotte.

"Die Clubs werden sich immer an Verbote für die Bereitstellung von Versicherungen und Rückversicherungen halten. Das gilt im Zusammenhang mit Russland, dem Iran oder anderen Ländern, gegen die Handels-, Finanzierungs- und andere Beschränkungen verhängt wurden", macht deren Chef Nick Shaw deutlich.

Schiffseigner werden sich für ihre Haftpflichtversicherungen woanders umsehen müssen, sofern solche Verbote bestehen. Wenn die P&I-Clubs keine Versicherung anbieten, "könnte das größte Hindernis für einen erstklassigen Tankereigner, sein Schiff weiterhin auf dem Spotmarkt zu handeln, die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit einer anderweitig erworbenen Versicherung sein". So argumentiert Direktor Mike Salthouse von der North of England Protecting and Indemnity Association.


   Moskau muss hohe Abschläge auf sein Öl wegstecken 

Der russische Staatskonzern Rosneft hatte in den vergangenen Wochen Schwierigkeiten, Käufer für große Mengen Rohöl zu finden. Sanktionen gegen den Handel mit dem Unternehmen, die Mitte Mai in Kraft treten sollen, veranlassen einige große Händler, sich aus dem Export von russischem Öl zurückzuziehen. Russlands Vorzeige-Rohöl der Sorte Ural wird mit hohen Abschlägen gehandelt.

Sanktionen gegen Versicherungen würden den russischen Produzenten, die die Auslandsnachfrage nach ihrem Rohöl anzapfen wollen, ein weiteres Hindernis in den Weg legen. So würde russisches Öl weiter in einen Schattenmarkt gedrängt, der von weniger bekannten Händlern und Schiffseignern betrieben wird, die bereit sind, ohne Versicherung zu arbeiten, erläutert Barstad von Frontline.


   Iran und Venezuela nutzten Schattenmarkt für Öl 

Ein solcher Markt hat es dem Iran und Venezuela in den vergangenen Jahren ermöglicht, weiterhin Öl zu exportieren, obwohl das zugrundeliegende Rohöl von den US-Sanktionen betroffen ist. Für Russland könnte der Transport von nicht versichertem Öl schwieriger sein als im Fall des Irans. Schiffe, die die Ostseehäfen des Landes verlassen, fahren auf ihrem Weg in die Nordsee nahe an der dänischen Küste vorbei. Die dänischen Behörden könnten zögern, solche Schiffe in Küstennähe passieren zu lassen, so Analysten und Reeder.

Andere Versicherer könnten einen Teil der Lücke füllen. Solange die Türkei sich gegen die Sanktionen entscheidet, können die dort tätigen Versicherer russische Exporte versichern, so der Versicherungsmakler Andreas Krebs von Greco International in Wien. Er geht davon aus, dass derartige Deckungen von Versicherungsgesellschaften aus dem Nahen Osten und der Golfregion angeboten werden.


   Absatzvolumen geringer als Produktion 

Dennoch werden die russischen Unternehmen "nicht in der Lage sein, das gesamte Rohöl zu verkaufen, das sie derzeit produzieren", berichtet Geschäftsführer Hugo De Stoop von Euronav.

Schiffseigner und Händler müssen in einigen russischen Häfen bereits zusätzliche Versicherungskosten in Form von Kriegsrisikoprämien zahlen. Dieses Produkt, das Schiffe für Fahrten im Laufe eines Jahres schützt, kostet in der Regel 0,04 Prozent des Wertes eines Schiffes, so Marcus Baker vom Versicherungsmakler Marsh. Schiffseigner, die im Schwarzen Meer unterwegs sind, hätten in letzter Zeit mehr als 5 Prozent des Schiffswerts für eine einzelne Fahrt gezahlt.

Sicherlich gibt es andere Märkte, die Russland erschließen kann, wie China und Indien, berichten Branchenakteure, aber es ist unklar, wie groß der Appetit dort sein wird. Wird das EU-Verbot für europäische Versicherer russische Ölladungen daran hindern, Russland zu verlassen? Aus Sicht von Versicherungsfachmann Salthouse "wahrscheinlich nicht, wenn es anderswo einen politischen Willen gibt, diese Ladungen zu importieren".

(Mitarbeit: Costas Paris)

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May 09, 2022 06:10 ET (10:10 GMT)