BERLIN (Dow Jones)--Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat die Bundesregierung zur Ablehnung und Klage gegen die von der EU-Kommission geplante Klassifizierung von Atom und Gas als nachhaltig aufgefordert. Ein von der Umwelthilfe in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten sieht die Aufnahme von Atom und fossilem Gas in die sogenannte EU-Taxonomie als rechtswidrig an.

Demnach seien die von der Kommission vorgelegten Regelungen für den Neubau fossiler Gaskraftwerke nicht mit den Vorgaben aus dem europäischen Recht sowie mit dem Vorsorgeprinzip aus den europäischen Verträgen vereinbar. Laut DUH sind in der Taxonomie Regelungen für Erdgas enthalten, die große Schlupflöcher enthalten und somit einen dauerhaften Betrieb von Gas-Kraftwerken ermöglichen. Dies widerspreche damit europarechtlichen Vorgaben.

Mit Blick auf Atomstrom habe das Bundesverfassungsgericht zudem bereits 2016 in einem Urteil zum Atomausstieg klargestellt, dass eine Beschleunigung des Atomausstiegs dem Schutz der Lebensgrundlagen künftiger Generationen dient. Dem widersprechen die Regelungen in der Taxonomie, die sogar Laufzeitverlängerungen alter grenznaher Meiler im Ausland zulassen würden, so die DUH.

Darüber hinaus fehle den vorgelegten Regelungen die Rechtsgrundlage. Laut Taxonomie-Verordnung sei die Frist für den Erlass eines delegierten Rechtsakts bereits abgelaufen.


   Warnung vor Treppenwitz der Geschichte 

Basierend auf dem Grundgesetz müsse Bundeskanzler Olaf Scholz die rechtswidrige Aufnahme von Atom und fossilem Gas in die EU-Taxonomie ablehnen, wie DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner erklärte. Der Automausstieg werde 2022 mit der Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland vollendet. "Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn im selben Jahr ein sozialdemokratischer Kanzler der Atomkraft ein grünes Mäntelchen umhängen würde", so Müller-Kraenner.

Die Autorin des Rechtsgutachtens, Anwältin Cornelia Ziehm, erklärte, dass Artikel 20a des Grundgesetzes der Bundesregierung einen umfassenden Schutzauftrag auch bei der Mitgestaltung von Unionsrecht der EU-Staaten gebe. "Damit wäre es schwerlich vereinbar, seitens der Bundesregierung eine Mitverantwortung für das nicht rechtzeitige Beschreiten des 1,5 Grad-Pfades sowie für die Förderung von Laufzeitverlängerungen alter grenznaher ausländischer Atomkraftwerke zu übernehmen", so Ziehm.

Die Bundesregierung hat bis zum 21. Januar Zeit, um Stellung zu beziehen zu den am Silvesterabend verschickten Vorschlägen der EU-Kommission zu grünen Investitionen. Nach Angaben von Bundesumweltministerin Steffi Lemke lehnt die Bundesregierung geschlossen die Vorschläge zur Atomenergie ab. Gas sieht die Regierung allerdings als Brückentechnologie hin zur geplanten vollständigen Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien. Anders als Österreich und Luxemburg hat die Bundesregierung bislang keine Klage gegen das Vorhaben der Kommission in Aussicht gestellt.

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DJG/aat/smh

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January 10, 2022 09:41 ET (14:41 GMT)