Von Alistair MacDonald

LONDON (Dow Jones)--Eine Lieferung von 24 Tonnen schwedischem Stahl markierte womöglich kürzlich den Beginn einer neuen Ära in einer der klimaschädlichsten Branchen weltweit.

In Europa und den USA verstärken große Stahlhersteller ihre Bemühungen um eine Verringerung der Treibhausgasemissionen. Sie versuchen, wachsenden Druck von Investoren und Regierungen ebenso abzuwehren wie neue Kunden zu gewinnen. Am Donnerstag lieferte das schwedische Unternehmen SSAB nach eigenen Angaben den weltweit ersten, in kommerziellem Maßstab ohne fossile Brennstoffe hergestellten Stahl an den Lkw-Hersteller Volvo.

SSAB steht mit seinen Bemühungen nicht allein da. Auch Konkurrenten wie Arcelormittal, Thyssenkrupp, Voestalpine und Cleveland-Cliffs arbeiten an Verfahren zur Dekarbonisierung der Produktion.

In den Schwellenländern, in denen der größte Teil des Stahls hergestellt wird, ist der Fortschritt jedoch langsamer. Analysten erwarten, dass der Stahlsektor wahrscheinlich noch für viele Jahre ein großer Verursacher von CO2-Emissionen bleiben wird. Der Umbau der Industrie ist überdies kostspielig. Stahl für Autos, Gebäude und Haushaltsgeräte werden deutlich teurer werden.


   7 Prozent der Treibhausgasemissionen gehen auf das Konto der Stahlbranche 

Die Herausforderungen, vor denen die Stahlindustrie steht, sind beispielhaft für die Schwierigkeiten bei der politisch gewollten Dekarbonisierung der Wirtschaft insgesamt. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) verursacht die Stahlindustrie wegen ihres hohen Energiebedarfs 7 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen - mehr als jeder andere Sektor der Industrie. Die IEA erwartet, dass bei der zu erwartenden steigenden Stahlnachfrage die CO2-Emissionen der Branche bis 2050 halbiert werden müssen, damit die Welt ihre Klimaziele erreichen kann.

"Ich akzeptiere, dass dieser Übergang auf kurze Sicht schwierig ist", sagte der Vorstandschef von ArcelorMittal, Aditya Mittal, in einem Interview.

Die Herstellungsweise macht die Stahlbranche zum großen Verursacher von Kohlenstoffemissionen. Nach Angaben der World Steel Association werden über 70 Prozent des Stahls noch nach dem mehr als 150 Jahre alten Hochofenverfahren hergestellt, bei dem Kohle bei hohen Temperaturen verbrannt wird, um den Sauerstoff im Eisenerz zu reduzieren und so das Erz in Stahl zu verwandeln.

Um die CO2-Emissionen zu verringern, schmelzen einige Unternehmen für neuen Stahl mehr Schrott ein, oder sie verwenden sogenanntes direkt reduziertes Eisen, bei dem der Sauerstoff ohne Schmelze im Ofen entfernt wird. Oder sie ersetzen Kohle durch Wasserstoff - das Verfahren, mit dem SSAB den an Volvo gelieferten Stahl hergestellt hat.


   Ein Viertel weniger CO2-Emissionen bis 2030 

Arcelormittal hat sich selbst verpflichtet, in diesem Jahrzehnt 10 Milliarden Dollar in sein Dekarbonisierungsprogramm zu investieren. So sollen die CO2-Emissionen bis 2030 pro Dollar Umsatz um 25 Prozent sinken. Im Juli hieß es, ein Standort in Spanien werde weltweit zum ersten großen Stahlwerk mit Null-Emissionen umgebaut. Der Konzern will bis 2025 Metall mit Wasserstoff erzeugen, der mit Hilfe erneuerbarer Energien hergestellt wird.

Solche Initiativen sind kostspielig. Im Jahr 2018 schätzte SSAB, dass sein fossilfreier Stahl 20 bis 30 Prozent teurer sein würde als sein Stahl aus der damals üblichen Produktion. Die Schweden prognostizierten jedoch auch, dass die Kosten mit der Zeit sinken würden. SSAB lehnte es ab, zu sagen, wie teuer der an Volvo gelieferte Stahl in der Herstellung war oder zu welchem Preis er verkauft wurde. Arcelormittal erklärte Analysten zu Jahresbeginn, dass die Herstellung von Stahl mit Hilfe von Wasserstoff in einem Werk in Deutschland um 60 Prozent teurer sein würde als zu herkömmlichen Verfahren.

Um ihre Anfangsinvestitionen in die Technik zu finanzieren, haben sich die Unternehmen um öffentliche Hilfen bemüht. Arcelormittal unterzeichnete kürzlich mit der spanischen Regierung eine Vereinbarung, wonach Madrid einen Teil der Investitionskosten in Höhe von 1 Milliarde übernehmen wird. SSAB ging für seinen grünen Stahl in Schweden eine Partnerschaft mit zwei staatlichen Unternehmen ein, und die Regierung investierte schon früh direkt in das Projekt.

In den USA stammen bereits 70 Prozent des erzeugten Stahls aus Elektrolichtbogenöfen, in denen Metallschrott eingeschmolzen wird. Laut IEA verbraucht dies Verfahren nur etwa ein Achtel der Energie, die bei der Stahlproduktion aus Eisenerz eingesetzt werden muss. Das American Iron and Steel Institute schätzt, dass in den USA täglich genug Stahlschrott recycelt wird, um 25 mal den Eiffelturm in Paris daraus bauen zu können.


   Stahlschrott-Recycling wird zum Geschäftsmodell der US-Hersteller 

Amerikas größter Stahlhersteller Nucor verarbeitet ausschließlich Stahlschrott. Im Juli erklärte das Unternehmen, es wolle seinen CO2-Fußabdruck verringern, indem es mehr erneuerbare Energien einsetzt und das anfallende Kohlendioxid auffängt. Auch United States Steel setzt auf CO2-Abscheidung und will mehr Schrott einspeisen, um bis 2050 auf Netto-Null-Emissionen zu kommen. U.S. Steel lehnte es ab, sich zu den Investitionskosten zu äußern, während Nucor auf die Bitte um eine Stellungnahme nicht reagierte.

Cleveland-Cliffs hat nach eigenen Angaben bislang rund 1,37 Milliarden Dollar ausgegeben, um sein Ziel einer 25-prozentigen Emissionsreduzierung bis 2030 im Vergleich zu 2017 zu erreichen. Dazu gehören ein kürzlich eröffnetes Direktreduktions-Eisenwerk in Toledo im US-Bundesstaat Ohio im Wert von 1 Milliarde Dollar sowie Technologien zur CO2-Abscheidung und andere Maßnahmen.

Wenn die Herstellung von Stahl teurer wird, dürfte auch sein Preis steigen, weshalb Analysten auch von einer Verteuerung all jener Produkte ausgehen, die Stahl enthalten. "Alles wird teurer werden, und grüne Stahlprodukte werden einen Aufschlag erfordern", sagte Stahlanalyst Alan Spence von Jefferies.

Die Berater von McKinsey schätzen unterdessen, dass bei Umsetzung der Klimaverpflichtungen etwa 30 Prozent der Kapazitäten europäischer Stahlhersteller bis 2030 und 100 Prozent bis 2050 kohlenstoffneutral sein könnten. Die USA könnten aufgrund des höheren Anteils der Elektrolichtbogenofenproduktion früher als Europa auf 30 Prozent klimaneutrale Kapazität kommen.


   Ohne China ist der Durchbruch nicht zu machen 

Allerdings, so die World Steel Association, stammten im vergangenen Jahr nur etwa 13 Prozent des weltweiten erzeugten Stahls aus der Europäischen Union, dem Vereinigten Königreich und Nordamerika.

China produziert etwa 57 Prozent des weltweiten Stahlangebots, und davon werden nach Angaben des Kohle- und Erzlieferanten BHP etwa 90 Prozent im Hochofen hergestellt. Chinas Hochöfen sind mit einem Durchschnittsalter von 12 Jahren vergleichsweise neu und deshalb kaum am Ende ihrer Lebenszeit, verglichen mit 53 bzw. 45 Jahren in Nordamerika und Europa, wie die Daten von BHP zeigen.

Stahlanalysten zufolge gibt es in China weniger Pläne zur Dekarbonisierung der Stahlproduktion als im Westen. Das Land geht davon aus, dass seine Treibhausgasemissionen im Jahr 2030 ihren Höhepunkt erreichen werden und bis 2060 in Richtung netto null tendieren werden.

Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2021 wurden in China insgesamt 18 neue Hochofenprojekte angekündigt, wie die Interessengruppe Centre for Research on Energy and Clean Air berichtet.

"Es gibt keine einfache Lösung, die Stahlindustrie zu dekarbonisieren", sagte McKinsey-Berater Christian Hoffmann.

Mitarbeit: David Hodari

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

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August 23, 2021 04:41 ET (08:41 GMT)