Von Michael Denzin

FRANKFURT (Dow Jones)--Neu gemischt in Richtung Jahresende werden die Karten an den Börsen ab der kommenden Woche. Mit dem Großen Verfalltag für September an den internationalen Terminbörsen wird der Start in das Schlussquartal für 2022 eingeläutet. Und das beginnt mit der Zinserhöhung der US-Notenbank am Mittwoch gleich mit einem Knall. Dazu kommen nun auch noch immer stärkere Konjunktursorgen. Vor allem China fällt diesmal als Konjunkturlokomotive aus und lässt alle zyklischen Branchen erzittern. Das ausgeteilte Blatt für den Herbst sieht für Aktionäre nicht gut aus.


   Entspannung durch US-Zinserhöhung möglich 

Als kleines Licht am Horizont könnte sich vielleicht die US-Zinserhöhung entpuppen. Denn nach dem Schock über die Ausbreitung der Inflation in die Kernrate der US-Verbraucherpreise (CPI) waren die Zinserwartungen ins Irrationale geschossen: In der Spitze rechneten danach 36 Prozent des Marktes mit einer Zinserhöhung um 100 Basispunkte (Bp). Hier besteht die Chance, dass die negativen Erwartungen nun zu stark geworden sind. Aktuell normalisiert sich die Erwartung eines großen Zinsschritts auf 24 Prozent, dürfte damit aber noch immer viel zu hoch sein.

Sollte die Fed dann die Zinsen "nur" um 75 Bp erhöhen, sehen Marktteilnehmer die Chance auf eine Zwischenerholung an den Börsen. Langfristig noch wichtiger werden die Andeutungen der Fed zum zukünftigen Zinspfad. Angesichts der Leichtfertigkeit des Marktes bis vor dem Notenbankertreffen in Jackson Hole ist die Gefahr von Überraschungen hier hoch: Allein seit diesem Treffen habe der Markt seine Fed-Erwartungen schon dreifach revidieren müssen, unterstreicht Florian Ielpo, Leiter des Makro-Research bei Lombard Odier Investment Managers (LOIM).


   Wendepunkt bei US-Zins wird keine gute Nachricht sein 

Aktuell erwarte der Markt nun einen Höhepunkt des Straffungszyklus bei 4 Prozent und den "Pivot-Punkt", also den Wendepunkt der Fed-Politik, im ersten Quartal 2023. Genau dies werde aber keine gute Nachricht sein, warnt Ielpo: Denn das, was die Zentralbanken von ihren Zinserhöhungen abbringen werde, werde "wahrscheinlich etwas Schlimmeres als die Inflation" sein.

Das natürliche Ergebnis dieser Erhöhungen dürfte eine Rezession mit fallenden Gewinnen sein, was eine klassische Episode der "Flucht in die Qualität" nach sich ziehen werde. "Einfach ausgedrückt könnte der Pivot der Zentralbanken sehr wohl in den nächsten 6 bis 9 Monaten eintreten, wie es die Märkte nun erwarten. An dem Tag, an dem er stattfindet, wird es keine gute Nachricht sein, da bis dahin eine Rezession im Gange sein dürfte."


   Stabile Margen und "Flucht in Qualität" als künftige Börsen-Irrtümer 

Für Aktionäre sind das keine schönen Perspektiven: Erst wird die Aktienbewertung gedrückt durch steigende Zinsen, anschließend geht es abwärts mit fallenden Gewinnaussichten. Begleitend dazu dürfte es noch über Jahre einen massiven Kaufkraftverlust bei Konsumenten wegen der hohen Inflation geben. Für zinsabhängige Technologie-Werte und konjunkturabhängige Zykliker am Aktienmarkt sind das schlechte Aussichten. Die 32 Prozent Kursverlust im deutschen Nebenwerte-Index MDAX allein seit Jahresbeginn dürften noch nicht das Ende der Fahnenstange sein.

Aber auch die "Flucht in die Qualität" könnte sich als Täuschung entpuppen: Vor allem die vermeintlich margenstarken Nahrungsmittelwerte wie Unilever und Nestle werden hier - von Börsianern - gerne genannt. Redet man allerdings mit Praktikern, sprich, den Konsumenten im Supermarkt, könnte sich diese Hoffnung als Luftschloss erweisen. Denn dort ist täglich zu beobachten, wie auf Markenprodukte immer öfter verzichtet wird, gekauft werden dafür die preisgünstigeren Eigenmarken der Handelsketten.

Ein Menetekel für die Börsen-Fantasien von den stabilen Margen war die Insolvenz des Toilettenpapierherstellers Hakle. Die hohen Kosten könnten eben nicht mehr an den Endkunden weitergereicht werden, so die bittere Erkenntnis. Diese Entwicklung könnte auch bald die Margen der Marken-Hersteller treffen, den "Sicheren Hafen" für Aktionäre wird es dann nicht mehr geben.


   Schlechte Stimmung allein ist kein Kaufgrund 

Kein Grund zur Hoffnung gibt auch die negative Stimmung. Nach über 30 Wochen Kapitalabzug aus Europa sind die Cash-Quoten der Fonds mit über 6 Prozent auf Allzeithochs angekommen, stellten die Experten von Bank of America in ihrer Fondsmanager-Umfrage fest. Allerdings ist schlechte Laune an sich noch nie ein ausreichender Grund für Käufe gewesen - dazu müsste erst ein positiver Trigger her, der noch nicht in Sicht ist.

Und auch die günstige Aktienbewertung könnte täuschen: So weisen die Strategen von Metzler darauf hin, dass sich Kurs-Gewinn-Verhältnisse "sehr deutlich" von ihren früheren Hochs entfernt haben. Der DAX notiere mittlerweile sogar mit einem Abschlag von rund 20 Prozent gegenüber seinem 20-jährigen Medianwert. Für die Euroraum-Aktien in der Breite liege das KGV nun bei 12,4 und bei 12 für nächstes Jahr.


   Gewinnschätzungen noch viel zu positiv - DAX 9.800 denkbar 

Jedoch liege dahinter die Frage, "wie zuverlässig können derzeit die Gewinnschätzungen insbesondere für das nächste Jahr eingeschätzt werden?", betonen die Metzler-Strategen Uwe Hohmann und Eugen Keller. Denn in vergangenen Rezessionen gingen die Unternehmensgewinne um rund 20 bis 30 Prozent zurück - die Gewinnschätzungen für den DAX gingen jedoch noch immer von 5 Prozent Plus aus.

Händler hatten bereits beim Kurssturz von Kion nach der Gewinnwarnung darauf hingewiesen, dass Analysten die Gewinne um über 60 Prozent zu hoch angesetzt hatten. Entsprechend brachen die Aktien um rund 30 Prozent ein. Unterstellt man Analysten diese Blauäugigkeit angesichts von Energiekrise, China-Abschwächung und Verzicht aufs Russlandgeschäft auch beim "Geschäftsmodell Deutschland", würden 25 Prozent Minus den DAX unter 9.800 Punkte bringen. Dort stützt dann zumindest sein Buchwert.

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September 16, 2022 07:34 ET (11:34 GMT)