FRANKFURT (Dow Jones)--Weiter auf volatile Wochen müssen sich Anleger an den Aktienbörsen einstellen. "Die Ukraine" hat "Corona" als Schlagwort und Belastungsthema abgelöst. Das Wechselspiel von Sanktionen vom Westen und Gegenmaßnahmen von Russland kann sich noch länger hinziehen. Die wirtschaftlichen Folgen der Sanktionen oder durch hohe Energiepreise können noch nicht genau beziffert werden. Damit kommen sie additiv zu den Sorgen um Inflation und Zinsnormalisierung hinzu.

Mit dem heißen Krieg in der Ukraine ist nun das eingetreten, was Profianleger am meisten hassen - der unvorhersehbare "Schwarze Schwan". Also ein Ereignis, dass so selten eintritt, dass man ihm nicht vorbeugt. Dass aber dann umso härter zuschlägt, wie der 1.500-Punkte-Sturz des DAX binnen einer Woche demonstrierte. Anlegern führt dies vor Augen, dass Eventualrisiken nicht richtig in die Aktienkurse eingepreist wurden, man per Saldo zu blauäugig vorgegangen war. Damit steigt das Risikobewusstsein an allen Fronten - und entsprechend weniger Potenzial nach oben haben die Aktienkurse.


  Es gibt tatsächlich Positives - 3 Signale für einen DAX über 14.000 

Tatsächlich gibt es trotz des Krieges auch positive Signale: So hat der DAX seine Unterstützungen im Bereich über 14.000 Punkten verteidigt. Und zwar getragen von wohlüberlegten Käufen in Einzeltiteln. Händler hatten betont, dass die ersten Panikverkäufe schnell von einem selektiven Vorgehen bei der Aktienauswahl abgelöst worden sei. "Viele Fonds scheinen unter dem 14.000er-Bereich mit Shopping-Listen für billige Qualitätsaktien unterwegs gewesen zu sein - und dass schon im vollen Bewusstsein des Krieges", erklärte ein Händler. Diese Rationalität sollte den DAX auch weiter nach unten absichern.

Dazu stützt die geringe Verbundenheit der Volkswirtschaften des Westens mit Russland. Weitere Sanktionen gegen das Land würden Russland betreffen, aber dessen lokale Wirtschaft spiele wiederum keine Rolle für die Weltwirtschaft, betont Chef-Volkswirt Paul Donovan von der UBS. Solange die Energieversorgung weiter laufe, stünden nur die Preisrisiken im Fokus, die auf das Wachstum von Rohstoff-Konsumenten drücken werden. Zahlreiche Beispiele dafür lieferte übrigens die Berichtsaison dieser Woche, wo von BASF über Heidelcement bis hin zu Joghurthersteller Danone die Gewinnmargen unter höheren Energie- und Einkaufspreisen litten.

Als dritte Stütze kommte eine mögliche Entspannung auf der Zinsseite. Denn als Folge der russischen Invasion geht der Markt davon aus, dass die Zentralbanken das Ende ihrer Geldschwemme langsamer umsetzen als wegen der explodierenden Inflation eigentlich notwendig ist.

So kollabierte in den USA die Erwartung einer Zinserhöhung durch die Fed um gleich 50 Basispunkte auf der März-Sitzung nach dem russischen Einmarsch auf nur noch 17 Prozent. Zuvor hatten das noch über ein Drittel der Marktteilnehmer in den Fed-Funds-Futures erwartet.


  EZB wird Inflationsbekämpfung weiter ignorieren 

Auch die EZB hat mit der Invasion Schützenhilfe erhalten. Denn "geopolitische Risiken" können nun als neue Ausrede dienen, um Zinsnormalisierungen zu vermeiden, nachdem "pandemie-bedingte Risiken" und "transitorisch" schon zu lange überstrapaziert wurden.

Dass die EZB-Verweigerung einer Inflationsbekämpfung zu gravierenden sozialen Verwerfungen führt, ficht sie nicht an. Dabei gab es bereits im Dezember einen Brandbrief von Politikern und Wirtschaftsgrößen, die den damals beliebten Spruch von der nur "transitorischen" Inflation kritisierten. Selbst ein ehemaliger Bundesfinanzminister wie Peer Steinbrück redete Klartext und nannte ihre Politik "unsozial". Dabei waren auch andere bekannte Namen wie Deutsche-Bank-Aufsichtsrat Paul Achleitner und Münchner-Rück-Aufsichtsrat Nikolaus von Bomhard.

Sie forderten die EZB auf, endlich zu handeln: "Die EZB vernachlässigt ihre ureigene Aufgabe der Wahrung der Preisstabilität, indem sie ihre ultralockere Geldpolitik trotz steigender Inflationsraten nicht anpasst", hieß es in dem Brief.


   Alles deutet auf weiteren Inflationsanstieg 

Geändert hat sich seitdem nichts - außer einer noch weiter steigenden Inflation. Als interessantes Beispiel für den Mindset der EZB hoben Händler im Wochenverlauf ein FAZ-Interview mit EZB-Chef-Volkswirt Philip Lane hervor. Denn Lane habe sich in dem Interview geradezu gewunden, auch nur eine Zinsanpassung von 0,25 Prozent für angemessen zu befinden. Und dass, nachdem am Vortag die Inflation in der Eurozone mit 5,1 Prozent bestätigt wurde - also dem Zwanzigfachen dieses Zinsschrittes.

Bestürzender war allerdings, wie er seine taubenhaften Ansichten stützte: Der Inflationsanstieg werde schon zurückgehen, versicherte er. Bloß wann könne er nicht sagen. Und um wieviel, auch nicht. Dabei liegen Fakten in Form harter Wirtschaftsindikatoren seit Monaten vor: Aktuell sprang Frankreichs Inflation auf 4,1 Prozent, wo nur 3,5 Prozent Plus erwartet wurden. In Deutschland explodierten die Importpreise im Januar um fast 27 Prozent zum Vorjahr.


  Auf eine "Fünf" vorm Komma einstellen - EZB liegt verlässlich falsch 

Was übrigens nicht nur auf die gern angeführten Energiepreise zurückgeht: Die Kosten steigen auf gesamter Breite, bei allen Rohstoffen, in allen Branchen und in allen Regionen. Die Argumentation mit der "post-pandemie-getriebenen" Verknappung greift schon lange nicht mehr. Das Ifo-Institut warnt jetzt, dass eine Rekordzahl an Unternehmen mit Preiserhöhungen plant. Die Inflation werde damit für das ganze Jahr steigen: "Eine Fünf vor dem Komma der Inflationsrate im Gesamtjahr 2022 wird gerade wahrscheinlicher als eine Drei", sagte Timo Wollmershäuser, Leiter der Ifo-Konjunkturprognosen.

Wie "The Pioneer" herausgearbeitet hat, liegt die EZB seit der Inflationsprognose im Juni 2021 schon zum dritten Mal in Folge mit ihren Schätzungen jenseits der Realität, die teils doppelt so hoch ist. Damit drängt sich die Frage auf, warum Anleger einer Institution vertrauen sollen, die falsche Prognosen in die Welt setzt.


  Inflation und "die Marge" werden Hauptkriterium für Anleger 

Fondsmanager raten Anlegern daher dazu, weiter auf eine ungebremst hohe Inflation zu setzen. Bei der Auswahl von Einzelaktien gerate dadurch das Thema "Marge" noch stärker in den Fokus. Hier gehe es auch nicht mehr nur darum, sie zu steigern. Wichtiger werde, ob man sie in Zukunft bei weiterem Kostenanstieg überhaupt noch verteidigen könne. Bei den Strategen der Bank of America zählt daher der Kauf von Qualitätswerten mit "pricing power" sogar zu den säkularen Trendthemen.

Denn während ein Unternehmen wie Air Liquide oder Linde die eigenen Kosten über indexierte Verträge an Industriekunden weiterreichen kann, sieht es ganz anders aus, wenn man dem Endverbraucher gegenübersteht. Preiserhöhungen werden dort eine Weile akzeptiert, führen aber ab einem bestimmten Preispunkt zum kompletten Absatzeinbruch. Oder kurz: Zwei Euro für eine Supermarkt-Schokolade oder einen Joghurt bezahlt niemand.

Sofern es nicht zu einem Ende der Ukrainekrise kommt, dürften Konjunkturdaten vorerst keine Rolle spielen. Eher schon die Information aus der Berichtssaison: Für Aktienanleger könnte es daher sinnvoll sein, die Zeit niedriger Kurse zu nutzen, um Titel zu selektieren, die notwendige Preiserhöhungen auch durchsetzen können.

DJG/mod/smh

(END) Dow Jones Newswires

February 25, 2022 08:11 ET (13:11 GMT)