Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Das beherzte Eingreifen der Zentralbanken hat Schlimmeres verhindert. Eine Systemkrise im Bankensektor wie nach der Pleite von Lehman Brothers zeichnet sich aktuell nicht ab. Die Aufsichtsbehörden haben offensichtlich ihre Lektion gelernt - der Fall von Lehman wurde zum Auslöser der Großen Finanzkrise, die fast zu einer neuen Großen Depression geführt hätte. Allerdings macht die Pleite der Silicon Valley Bank (SVB) deutlich, dass der rasante Zinsanstieg der vergangenen Monate nicht spurlos an den Finanzmärkten vorbeigezogen ist. Weitere Kollateralschäden sind wahrscheinlich.

Dass die EZB am Donnerstag die Leitzinsen trotz der SVB-Pleite sowie den Turbulenzen rund um die Credit Suisse gleich um 50 Basispunkte (Bp) auf 3 Prozent erhöht hat, überraschte, wurde letztlich aber an den Märkten als Vertrauensbeweis positiv zur Kenntnis genommen. Dennoch bleiben die jüngsten Verwerfungen nicht ohne Folgen: Nachdem an den Märkten jüngst noch ein Zinsgipfel von 4 Prozent eingepreist worden war, glauben die Investoren nun, dass die EZB die Zinsen kaum noch erhöhen wird. Analysten sehen das anders; die Deutsche Bank sieht die Zinsen weiter bis auf 3,75 Prozent steigen. Wie es letztlich kommen wird, dürfte neben der Inflationsentwicklung davon abhängen, inwieweit sich die Märkte wieder beruhigen.


   Noch jeder Zinserhöhungszyklus der Fed hat seine Opfer gefordert 

Nach der EZB richten sich die Blicke nun auf die geldpolitische Entscheidung der US-Notenbank am kommenden Mittwoch. Vor den SVB-Turbulenzen galt eine Leitzinserhöhung um 50 Bp als ausgemacht, nun wird nur noch mit 25 Bp gerechnet. Ähnlich wie für die Eurozone sind auch für den Dollarraum die Markterwartungen an den Zinsgipfel deutlich gefallen: die Leitzinserwartungen für das Jahresende haben sich laut der Commerzbank um 150 Bp reduziert. Und für die zweite Jahreshälfte preisen die Märkte nun sogar bereits Zinssenkungen ein. Laut der Deutschen Bank sehen die Märkte das Leitzinsniveau in den USA per Dezember nur noch bei knapp über 4 Prozent.

Die jüngste Krise im Bankensektor zeigt aber auch, dass das sehr hohe Zinserhöhungstempo der Notenbanken in den vergangenen Monaten Spuren hinterlässt. Das Problem besteht laut Warburg darin, dass in den vergangenen Jahrzehnten nie in so kurzer Zeit die Zinsen und Renditen so stark gestiegen sind wie aktuell. "Wir erleben also in gewisser Weise ein volkswirtschaftliches Experiment am offenen Herzen, ohne über ernsthafte praktische Erfahrungen mit massiv steigenden Zinsen zu verfügen", heißt es. Die DWS weist darauf hin, dass bislang noch jeder Zinserhöhungszyklus der Fed seine Opfer gefordert habe - vom 87er-Crash bis zur Tequila-Krise, Orange County und so weiter.


   US-Banken haben angeblich einen Abschreibungsbedarf von 600 Milliarden Dollar 

Mögliche Auslöser für weitere Krisen gibt es genügend. "Wenn man dann bedenkt, dass allein US-Banken angeblich einen Abschreibungsbedarf von 600 Milliarden Dollar haben, weil die Kurse von Anleihen aufgrund steigender Zinsen so stark gefallen sind, hat das zu einem gewissen Grad Potenzial für eine Krise", so Warburg weiter. Noch toxischer scheine die Lage zu werden, wenn man sich den Verlauf der Kreditkartenzinsen und des Kreditkarten-Kreditvolumens in den USA anschaue: Beide Zeitreihen seien auf extrem hohe Werte gestiegen und ließen vermuten, dass hier gewaltige Ausfälle drohten. Zur Panik gebe es zwar keinen Grund, Wachsamkeit erscheine trotzdem angebracht.

Zur Gefahr für die Börsen könnten auch die Wachstumsrisiken werden, wenn auch nicht unmittelbar. Die in der kommenden Woche anstehenden Einkaufsmanagerindizes für März sollten nach Einschätzung der Commerzbank das Bild einer gespaltenen Konjunktur im Euroraum bestätigen. Der Index für den Dienstleistungssektor dürfte unverändert auf eine moderate Expansion hindeuten, während der Index für die Industrie wohl im rezessiven Bereich verharren wird. Auch in den USA nehmen die Wachstumsrisiken nach den massiven Zinserhöhungen zu - die Zahl der Volkswirte, die für das zweite Halbjahr eine Rezession erwarten, ist zuletzt gestiegen.


   Kollabierendes Geldmengenwachstum bereitet Sorgen 

Die Commerzbank weist noch auf eine weitere Gefahr hin: Auch das Wachstum des täglich verfügbaren Geldes in einer Volkswirtschaft, die sogenannte Geldmenge M1, war in vergangenen Zyklen ein wichtiger monetärer Frühindikator für die Aktienmärkte. In Phasen mit einem schwachen Geldmengenwachstum - wie 2000/01 oder 2007/08 - kamen Aktien regelmäßig unter Druck. "Daher beobachten wir mit Sorge, dass das Wachstum der Geldmengen sowohl im Euroraum als auch in den USA kollabiert ist. Dieses Schrumpfen der täglich verfügbaren Bankeinlagen war ein Auslöser der Probleme der US-Regionalbank Silicon Valley Bank SVB, da die SVB deshalb Buchverluste im Anleihe-Portfolio realisieren musste", heißt es.

Die Gemengelage spricht für zukünftig wieder merklich höhere Volatilitäten an den Märkten. Das müssen für die Anleger keine schlechten Nachrichten sein, im Gegenteil. Kursschwankungen eröffnen Einstiegschancen bzw die Chance, bestehende Portfolios kostengünstiger aufzustocken. Mit dem Ende der ultralockeren Geldpolitik der vergangenen Jahre erscheint eine reine "buy and hold"-Strategie wenig aussichtsreich. Timing hat stark an Bedeutung gewonnen. VDAX-Stände über 30 waren in der Vergangenheit oft gute Kaufgelegenheiten. Mit ein wenig Kaltschnäuzigkeit sollte auch diese Krise zu meistern sein.

Kontakt zum Autor: manuel.priego-thimmel@wsj.com

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March 17, 2023 08:48 ET (12:48 GMT)