Von Michael Denzin

FRANKFURT (Dow Jones)--Deutlich dünner wird die Luft für Anleger in den kommenden Wochen und Monaten. Sowohl mit Aktien als auch Anleihen wird es immer schwerer, noch vernünftige Renditen zu erzielen. Die Finanzielle Repression der Notenbanken kommt immer direkter beim Anleger an in Form von negativen, realen Renditen. Denn bisher konnten hohe Wachstumsraten der Wirtschaft und damit der Unternehmen den Inflationsanstieg noch kaschieren. Doch das ist jetzt vorbei. Die Nach-Corona-Erholung der Weltwirtschaft hat ihre höchsten Zuwachsraten hinter sich, während gleichzeitig die Einkaufspreise der Industrie in zweistelligen Prozenten nach oben schießen. Die Kombination heißt "Stagflation" - ein sehr undankbares Umfeld für Aktienanleger.

Denn Unternehmen werden davon in die Zange genommen: Steigende Preise können oft nicht weitergereicht werden und drücken auf die Gewinnmarge. Gleichzeitig steigen durch den Inflationsdruck auch die Renditen an den Märkten, was weniger Raum für die Aktienbewertung lässt.

Für Börsianer sind das schlechte Nachrichten, da die sinkenden Gewinnmargen dann auch noch auf fallende Bewertungen treffen. Aktienkurse können damit gleich doppelt beschleunigt nach unten gehen. Die Kursverluste, besonders der zinsreagiblen US-Technologiewerte, waren hier schon der erste Vorbote.


   Selbst Mode-Themen schützen nicht 

Für Anleger wird die Lage damit schwierig, denn selbst die besten Mode-Themen nützen in diesem Umfeld nichts, wenn man beim Investitionshorizont danebenliegt: Eine grüne Windaktie wie Siemens Energy hat seit Jahresbeginn rund 30 Prozent verloren, ein Lieferdienst wie Delivery Hero seit Sommer rund 20 Prozent und selbst der zentralste Baustein der Nach-Corona-Welt, der Impfstoffhersteller Biontech, weist seit Sommer fast eine Halbierung des Aktienkurses auf.

Anleger erhalten damit einen kleinen Blick in die Zukunft, wie die Börse mit höheren Renditen und Inflation umgeht - mit steigender Volatilität. Das beliebte "Buy-and-Hold" von Aktienanlagen funktioniert dann auch nicht mehr.


   Ausblicke entscheiden - "Teamviewer" als Vorbote für Berichtssaison 

Wegweisend ab der kommenden Woche wird die US-Berichtssaison. Die Zahlen des abgelaufenen Quartals sind dabei aber relativ unwichtig, entscheidender sind die Ausblicke. Vor allem auf Worte wie "Margendruck" dürften Börsianer allergisch reagieren. Senkt ein Unternehmen dann zusätzlich noch den Ausblick, dürfte es gleich dreifach beschleunigt nach unten gehen: Musterbeispiel für künftige Marktreaktionen war der Crash bei Teamviewer.

Von den Zahlen und Ausblicken der US-Banken in der kommenden Woche sollten sich Anleger nicht täuschen lassen. Denn nur für sie beginnt eine gute Zeit: Inflation und Zinsanstieg versteilern üblicherweise die Renditekurve, was ihr Geschäft profitabler macht.


   US-Inflation als Wegbereiter 

Die wichtigsten Kennzahlen sind daher die Daten zur Verbraucherpreis-Inflation (CPI) aus den USA und China kommende Woche. Denn die US-Inflation läßt sich mit einem erholten US-Arbeitsmarkt auch von der US-Notenbank nicht weiter ignorieren. Die wichtigen 5-Jahres-Inflationserwartungen in den USA sind diese Woche bereits nach oben ausgebrochen.

Zumindest die Geldschwemme durch Anleihekäufe könnte schneller zurückgefahren werden (Tapering). Die lange bemühte Ausrede eines "nur temporären" Inflationsanstiegs hat die Fed übrigens aufgegeben: Mehrere Notenbank-Mitglieder sagten im Wochenverlauf, dass die Inflationsrisiken nun eindeutig nach oben liegen.

Europas Anleger stehen indes noch schlechter da: Denn während die US-Notenbank tatsächlich noch ein Mandat hat, ihre Entscheidungen an den Arbeitsmarkt zu koppeln, ist das bei der EZB nicht so. Sie sollte sich früher einmal nur um Geldstabilität kümmern. Stattdessen hält sie die nominalen Zinsen durch ihre Anleihekäufe künstlich unter der Inflationsrate und sorgt so für einen ständigen Wertverlust der Anlagen. Vor Mitte 2023 erwartet der Markt keine EZB-Zinserhöhung. Gut ist das nur für die hochverschuldeten Euro-Staaten, die ihre Kredite einfach über die Inflation entwerten lassen.


   Unruhige Zeiten für Anleger - Negativer Realzins bleibt 

Doch selbst, wenn die Staaten Inflation bekämpfen wollten, wird es schwer: "Die Politik hat immer weniger Mittel, das Wachstum wieder in Gang zu bringen", sagt Ivan Mlinaric von Quant Capital Management: "Wo die Haushalte angespannt sind, die Geldpolitik kaum noch Wirkung entfaltet und Strukturreformen zu lange dauern würden, ist davon auszugehen, dass in diesem Falle die Spirale der Staatsverschuldung noch einmal an Fahrt aufnehmen dürfte". Für Anleger sind das unruhige Zeiten.

Peter de Coensel vom Vermögensverwalter Degroof Petercam Asset Management (DPAM) spricht hier vom "kühlen Hauch der Stagflation" und erwartet keine Änderung dieses Zustands in nächster Zeit. Die zehnjährigen realen Renditen seien seit der Pandemie vom positiven in den negativen Bereich gedrückt worden: "Erwarten Sie, dass sich diese Episode fortsetzen wird. Negative langfristige Realrenditen sind da, um zu bleiben", warnt er.


   Grüne Investments als Inflationstreiber 

Eine Quelle des Preisschubs sind die Energiepreise. Anleger haben zum Teil selbst aktiv dazu beigetragen. Denn der Wunsch nach grünen Investments und Anlagethemen wie ESG haben die "alten Industrien" unattraktiv gemacht. Entsprechend wurde wenig investiert, Öl- und Gaserzeuger können daher oft nicht so viel liefern wie nachgefragt wird. Der Gaspreis stieg "schneller und härter als jemals zuvor gesehen", betonen die Analysten von Bank of America.

Während es in den 1980ern noch über 1.500 Tage gedauert habe, bis sich japanische Aktien verdreifachten, habe der Natural-Gas-Preis in Großbritannien das selbe in nur 136 Tagen geschafft. Diese Marktblasen, diesmal aber im Bereich der Input-Kosten, befeuerten die Stagflationssorgen weiter.

Und sollten die Energiepreise weiter steigen, könnten die Aktienmärkte um 10 bis 20 Prozent einbrechen, erwartet die Saxo Bank: "Wir erleben gerade eine weltweite Energiekrise historischen Ausmaßes", sagt Aktienstratege Peter Garnry.


   Wohin investieren bei "Stagflation"? 

Schwer zu handeln ist das Thema ohnehin, da der Gleichlauf von Anleihen mit den Commodity-Preisen dadurch zunimmt, ergänzen die BoA-Strategen. Sie empfehlen daher, in Aktien von Unternehmen mit "Pricing Power" zu investieren. Also Firmen, die ihre Margen beim Kunden auch durchsetzen können.

Peter De Coensel von DPAM hält im Stagflationsumfeld Finanztitel für einen guten Sektor. Auch rohstofforientierte Geschäftsmodelle könnten profitieren. Die Top-Performer sieht auch er in monopolistischen Unternehmen mit Preissetzungsmacht. Bei Anleihen hält er Staatsanleihen von Schwellenländern in lokaler Währung für interessant, da Stagflation den Dollar schwäche.

"Das Exposure in Nicht-Dollar-Anlagen war in den 70er Jahren ein wichtiger Bestandteil für realen Kapitalerhalt", fasst er zusammen und warnt: "Solche Momente an den Finanzmärkten erfordern viel Nachdenken und Reflektion, um das eigene Kapital zu schützen".

Kontakt zum Autor: maerkte.de@dowjones.com

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October 08, 2021 06:27 ET (10:27 GMT)