Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Der Börsenoptimismus zu Jahresbeginn ist verpufft. Zwar scheint das beherzte Eingreifen der Behörden nach den Schieflagen der Silicon Valley Bank (SVB) sowie der Credit Suisse eine neue Finanzkrise verhindert zu haben, die Verunsicherung unter Anlegern bleibt aber groß. Die Abschreibung der AT1-Anleihen der Credit Suisse hat Sorgen ausgelöst, dass hier ein Präzedenzfall geschaffen wurde. Daneben setzen die Notenbanken ihren Zinserhöhungskurs fort - zwar verlangsamt, dennoch erhöht sich damit der Druck auf den Bankensektor und die Wirtschaft weiter.

Die Zentralbanken befinden sich in einer schwierigen Lage. Der Kampf gegen Inflation erfordert höhere Leitzinsen, eine Stabilisierung des Bankensystems legt dagegen eine lockerere Geldpolitik nahe. Die Folge ist ein geldpolitischer Drahtseilakt. Auf ihrer jüngsten Sitzung hat die US-Notenbank die Zinsen lediglich um 25 Basispunkte (Bp) erhöht, vor den SVB-Verwerfungen lag die Erwartung bei 50 Bp. Daneben hat Fed-Präsident Jerome Powell nahegelegt, dass die US-Notenbank zunächst eine geldpolitische Pause einlegen werde. Die meisten Beobachter rechnen nun nur noch mit einem weiteren Zinsschritt von 25 Bp bis Ende des Jahres. Auch bei der EZB sind die Markterwartungen an den Zinsgipfel deutlich gefallen.


   Leitzinserhöhungen haben zu Marktturbulenzen beigetragen 

Die Gefahr besteht, dass durch diese Kompromisshaltung weder das eine noch das andere Problem hinreichend adressiert wird. Die europäischen Verbraucherpreise am kommenden Freitag dürften für März zwar einen kräftigen Rückgang auf 6,8 Prozent von 8,5 Prozent zeigen. Allerdings wird erwartet, dass der Preisdruck in der wichtigen Kernlesung bei 5,6 Prozent verharren wird. "Die EZB hat zuletzt wiederholt betont, dass sie aktuell vor allem auf die Kernteuerungsrate schaut. Insofern dürften die Inflationszahlen für März den Druck auf die Notenbank aufrechterhalten, die Leitzinsen weiter anzuheben", kommentiert die Commerzbank.

Die weltweiten Leitzinserhöhungen seit Frühjahr vergangenen Jahres haben laut der Commerzbank zu den jüngsten Marktturbulenzen beigetragen. Die geldpolitische Straffung dürfte aber auch die Realwirtschaft belasten. So folgte in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren jedem Zinserhöhungszyklus eine Rezession. Dies spricht gegen die von vielen Volkswirten erwartete Konjunkturbelebung im weiteren Jahresverlauf. Stattdessen rechnen Analysten für Deutschland und den Euroraum mit einem zeitweisen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts, wobei wegen des stabilen Arbeitsmarktes und der Resilienz der Unternehmen nicht mit einer tiefen Rezession zu rechnen sei.


   Abschreibung der AT1-Anleihen der Credit Suisse löst Vertrauenskrise aus 

"Die Zentralbanken werden die Inflation weiter bekämpfen und der Preis ist durch die Liquiditätsprobleme in der US-Bankenbranche deutlich gestiegen", warnt CMC. Das Risiko für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr sei größer geworden. Bis sich der Schaden aus dem Bankenbeben abschätzen lasse, gingen noch Wochen ins Land. "Und es bleibt das dumpfe Gefühl der Anleger, dass die daraus entstehenden Nachrichten keine sonderlich guten sein werden." Zwar lebe die Hoffnung auf eine Zinssenkung weiter, aber "Hand aufs Herz: Eine Leitzinssenkung hilft weder, eine Bank zu retten, noch bekämpft sie die Inflation", bleibt CMC skeptisch.

Für große Unruhe im Bankensektor sorgt die komplette Abschreibung der AT1-Anleihen der Credit Suisse im Zusammenhang mit der Übernahme durch die UBS. Nach der Schuldenkrise waren nachrangige AT1-Anleihen, eine Form von Pflichtwandelanleihen, als scheinbar attraktives Rekapitalisierungsinstrument im Bankensektor und bei institutionellen Anlegern beliebt. Der nun gesehene Totalverlust hat Ängste ausgelöst, dass auch bei anderen Banken in einem sich verschärfenden Kreditumfeld Abschreibungsbedarf oder Schlimmeres drohen könnte. "Es fehlen Informationen, um das Risikoprofil im Sektor einschätzen zu können", sagt ein Marktteilnehmer. Die Rede ist von einem "Schwarzen Loch".


   Börsen stehen auf wackligen Füßen 

Die europäischen Regulatoren müssen nach Aussage von LBBW-Analyst Christian Götz die Risiken eindämmen, die sich aus den Investitionen von Banken in AT1-Anleihen anderer Banken ergeben. Nach seiner Interpretation verbietet die Kapitaladäquanzrichtlinie CRR bisher nämlich nur den Erwerb von bail-in-fähigen Kapitalmarktinstrumenten von einer global tätigen Großbank (G-SIB) durch eine andere. "Daher wären hier weitere, zugleich verständliche und einfache Bestimmungen wünschenswert, um innerhalb des Bankensektors Ansteckungsrisiken noch stärker einzudämmen", so Götz.

Die Nervosität an den Börsen ist spürbar gestiegen. Solange es den Aufsichtsbehörden und der Politik nicht gelingt, das Vertrauen in den Bankensektor wiederherzustellen, stehen die Börsen auf wackligen Füßen. Wie schnell Probleme im Bankensektor in der Realwirtschaft ankommen können, hat die Finanzkrise nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers eindrucksvoll gezeigt. So weit muss es gar nicht kommen, allein eine plötzliche signifikante Verschärfung der Kreditvergabe hätte spürbare Folgen für die Wirtschaft. Die Gemengelage spricht für eine zunächst anhaltend hohe Volatilität. Diese kann aber auch Einstiegschancen zu billigeren Kursen eröffnen.

Kontakt zum Autor: manuel.priego-thimmel@wsj.com

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March 24, 2023 09:14 ET (13:14 GMT)