Von Michael Denzin

FRANKFURT (Dow Jones)--Mit einem Feuerwerk an Großereignissen werden sich die Märkte in der kommenden Woche aus dem Börsenjahr 2022 verabschieden. Denn mit den Zinserhöhungen der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank und dem Großen Verfalltag an den internationalen Derivatebörsen ertönen die Schlussakkorde für das Jahr. Dazu werden auch die Notenbanken der Schweiz, Großbritannien und Norwegen die Zinsen erhöhen. Die Masse der Marktteilnehmer dürfte danach froh sein, die Bücher für das Jahr zu schließen. An den noch folgenden zwei Wochen rund um Weihnachten wird nur noch dünnste Liquidität im Handel erwartet.


  Hoffen auf niedrigere US-Inflationsdaten 

Doch vor den mit Spannung erwarteten Zinsentscheidungen gibt es auch noch ein ausgeprägtes Vorspiel mit einer ständigen Steigerung in der Bedeutung - durch US-Preisdaten. Aus ihnen erhoffen sich Marktteilnehmer Indikationen für die Entwicklung der Inflation. Sollten sie die These unterstreichen, dass der Zenith der Preisanstiege hinter uns liegt, dürfte es auch schon vor den Notenbanksitzungen zu Käufen an den Aktienbörsen kommen. Schließlich würden abnehmende Inflationsraten auch einen weniger aggressiven Zinserhöhungskurs rechtfertigen.

Wie stark diese Hoffnungen sind, zeigten bereits die Preisdaten in der abgelaufenen Woche: So wurden die US-Lohnstückkosten für das dritte Quartal deutlich nach unten revidiert. Anstelle eines Anstiegs von 3,5 Prozent legten sie nur noch um 2,4 Prozent zu. Die Sorge der US-Notenbank vor einer inflationstreibenden Lohn-Preis-Spirale muss sich daher nicht materialisieren. Die Erleichterung danach war am Markt sofort abzulesen: Die Rentenmärkte gingen in den Rally-Modus, die 10jährige US-Bond-Rendite fiel sogar unter die wichtige Marke von 3,50 Prozent.


  Schrittweise Steigerung der Spannung - Erst PPI, dann CPI 

Der nächste Meilenstein bei den Inflationsdaten steht mit den US-Produzentenpreisen (PPI) schon am Freitag an. Nach ihrem explosiven Höhepunkt im Sommer wird nun auf den fünften Rückgang in Folge gesetzt. Nach einem Preisanstieg von 8,0 Prozent im Vormonat hofft man auf nur noch 7,2 Prozent höhere Preise zum Vorjahr.

Den Höhepunkt stellen dann die US-Verbraucherpreise (CPI) am Dienstag kommender Woche dar. Auch hier möchte man den fünften Rückgang hintereinander sehen und Werte, die möglichst deutlich unter dem Plus von 7,7 Prozent liegen, die noch im Vormonat ausgewiesen wurden. Noch größer wäre die Freude am Markt, wenn auch die Kernrate deutlich sinkt. Sie zeigt den Preisanstieg ohne Nahrungsmittel- und Energiepreise und wird von der US-Notenbank als Indikator für die gefährliche Ausbreitung von Inflation in andere Lebensbereiche gesehen. Jede diese Preisdaten hat das Zeug, den Markt entweder in Rally-Laune beim Unterbieten der Erwartung, oder in Panik beim Überbieten zu versetzen.


  US-Zinsschritt um 50 Bp ausgemacht - Aber wie wird der Ausblick? 

Am Mittwoch wird die US-Notenbank dann zeigen, ob sie mit den Interpretationen des Marktes übereinstimmt. Eine Zinserhöhung gilt als ausgemachte Sache. Rund 80 Prozent der US-Bond-Händler setzen darauf, dass es nur noch um 50 Basispunkte nach oben gehen wird. Vor einem Monat sah das noch anders aus: Damals wagten nur 56 Prozent des Marktes, auf diese "kleine" Erhöhung zu setzen. Nahezu die Hälfte rechnete noch mit dem Jumbo-Zinsschritt von 75 Basispunkten. Insofern muss sich der Markt auch die Frage gefallen lassen, warum er jetzt auf eine noch taubenhaftere Fed setzen will. Denn immerhin hätte sie bei einer Erhöhung von nur 50 statt 75 Bp die sinkenden Preisdaten bereits angemessen honoriert.

Schwerwiegender dürfte daher der Ausblick von Fed-Chairman Jerome Powell auf den künftigen Zinspfad sein. Sollte er von der früheren Stringenz der Inflationsbekämpfung abweichen, dürfte der Markt auch dies als Startschuss zur Rally werten. Andererseits sollten sich Händler nicht zu früh freuen, denn der jüngste und sehr starke US-Arbeitsmarktbericht zeigte, dass die Zinspolitik keinerlei Bremsspuren am Jobmarkt verursacht. Von daher könnte sich auch ungebremst weiterlaufen.


  Große Überraschungen drohen bei der EZB 

Ähnlich sieht es dann am Donnerstag bei der EZB aus. Hier sind die Meinungen unter professionellen Marktteilnehmern weiter geteilt, wie hoch die Zinserhöhung wird. Während Bank of America und Vermögensverwalter wie DWS auf 50 Basispunkte mehr setzen, sind ING und Nordea eher auf 75 Basispunkte mehr eingestellt. Jede Seite hat dabei gute Argumente - der Überraschungseffekt für eine Seite des Marktes dürfte daher sehr hoch sein.

So erwartet die DWS von der EZB eine Erhöhung um 50 Basispunkte, allerdings flankiert von einem ersten Schritt in Richtung "Quantitative Tightening", also dem Rückfahren der Anleihekäufe. Dazu wird die EZB auch noch ihre neuen Projektionen für Wachstum und Inflation bis 2025 vorstellen. Dabei dürfte klar werden, dass die Inflation noch bis 2023 das Ziel der EZB "bei weitem" übertreffen wird. Insofern werde der restriktive Kurs weitergehen.

Bei Nordea rechnet man umgekehrt mit einer "hawkishen Überraschung" und damit 75 Bp erhöhten Zinsen. Jedoch könnte das Tightening nach hinten verschoben werden in das zweite Quartal 2023. Ersteres wäre ein Zugeständnis an die falkenhaften EZB-Mitglieder, zweiteres eines an die Tauben. Damit kann bei der EZB-Sitzung an vielen Stellschrauben gedreht werden - das Überraschungspotenzial ist daher sehr hoch.


 Ganz ehrlich: Mit dem Börsenjahr 2022 kann man zufrieden sein 

Zum Verdauen bleibt den Marktteilnehmern dann auch nur wenig Zeit. Denn die Woche schließt mit dem Großen Verfalltag an den internationalen Derivatemärkten. Die gleichzeitige Abwicklung von Futures- und Optionen könnte dann noch zusätzlich für Durcheinander sorgen. Händler und Fondsmanager freuen sich daher schon auf die Ruhe der darauf folgenden Woche. Vor Weihnachten möchte sich kaum jemand noch mit großen Positionierungszwängen auseinandersetzen. Und von vielen Stimmen ist zu hören, dass man angesichts eines Krieges vor der Haustür, explodierenden Energiepreisen und davonlaufender Inflation eigentlich recht zufrieden sein kann mit einem DAX, der nur grob 9 Prozent im Minus liegt.

Kontakt zum Autor: maerkte.de@dowjones.com

DJG/mod/err

(END) Dow Jones Newswires

December 09, 2022 08:31 ET (13:31 GMT)