Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Stimmung an den Aktienmärkten könnte kaum schlechter sein. Die Unsicherheit über die russischen Gaslieferungen droht die Wirtschaft in die Rezession zu treiben, und in China kommt es immer wieder zu neuen Lockdowns mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Lieferketten. Zum größten Problem für die Börsen sind aber die Zentralbanken geworden. Diese haben klar gemacht, dass sie den Kampf gegen die grassierende Inflation prioritär behandeln werden, und das auch auf Kosten des Wirtschaftswachstums. Fed-Chairman Jerome Powell hat unlängst auf dem Zentralbanker-Treffen in Jackson Hole gewarnt, eine Normalisierung der Preise werde nicht schmerzfrei zu erreichen sein.


   Umdenken bei der EZB 

Wie die Commerzbank anmerkt, deuteten EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel schon einige Tage vor der Konferenz in Jackson Hole in Interviews an, dass die Notenbank bei ihrer Zinspolitik in Zukunft anders vorgehen werde. Die EZB könne sich nicht wie früher auf ihre Modelle verlassen, da diese die Inflation unzuverlässig prognostiziert hätten. Stattdessen müsse die Notenbank die aktuelle Inflation stärker bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. "Dies ist eine bedeutende Änderung, da die Inflationsprognose für die EZB-Entscheidungen bisher sehr wichtig war, und die Rolle der Prognose durch die Mitte 2021 bekanntgegebene neue Strategie aufgewertet worden war", kommentieren die Analysten.

Nach den stärker als erwartet gestiegenen europäischen Verbraucherpreisen gehen die meisten Beobachter nun davon aus, dass die EZB auf ihrer Sitzung am kommenden Donnerstag die Zinsen gleich um 75 Basispunkte anheben wird. Von viel größerer Bedeutung für die Finanzmärkte ist aber die Frage, wie es im Anschluss weitergehen wird. "Solange die Inflation hoch bleibt oder sogar steigt und der konjunkturelle Gegenwind aus Sicht der Notenbank im Rahmen bleibt, spricht viel dafür, dass die EZB den Worten von Jackson Hole auch entsprechende Taten folgen lässt und die Leitzinsen weiter anhebt", so die Commerzbank. Tatsächlich sollte die Inflation auch in den kommenden Monaten die Erwartungen der EZB übertreffen.

Ebenfalls für weitere Zinsanhebungen spricht, dass jüngste Aussagen von Isabel Schnabel und EZB-Chefvolkswirt Philip Lane vermuten lassen, dass die EZB zunächst keine Rezession im Euroraum prognostizieren wird. "Allerdings dürfte die EZB die Zinsen nach der Sitzung nächste Woche wegen des Näherrückens des neutralen Zinses (den die Europäische Zentralbank zumindest bislang bei rund 1,50 Prozent sieht) nicht noch einmal um 75 Basispunkte anheben", glaubt die Commerzbank. Vielmehr rechnen die Analysten für die Oktober-Sitzung mit 50 Basispunkten und für Dezember und Februar 2023 mit jeweils 25 Basispunkten.

Da neben der EZB auch die US-Notenbank in den kommenden Monaten eine schärfere Geldpolitik fahren dürfte als bislang an den Märkten eingepreist, bleiben die Aussichten an den Börsen gelinde gesagt trübe. Der vielleicht wichtigste Grund, warum die Aktienmärkte nicht noch tiefer notieren, waren die überraschend guten Geschäftszahlen für das erste und zweite Quartal. Die Unternehmen haben es bislang insgesamt gut geschafft, den Inflationsdruck zu meistern bzw an die Kunden weiterzureichen. Wie lange das noch der Fall sein wird, ist unklar. Es mehren sich die Hinweise, dass die Verbraucher wegen der hohen Preise ihr Konsumverhalten zunehmend einschränken, was nicht ohne Folge für die Gewinnmargen der Unternehmen bleiben wird.

Bislang gehen Analysten im Konsens davon aus, dass die DAX-Unternehmensgewinne im laufenden Jahr um 4,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigen werden. 2023 sollen es sogar 5,5 Prozent werden. "Unserer Einschätzung nach sind dies zu optimistische Annahmen für ein rezessives Umfeld", kommentiert die Commerzbank. Auch andere Analysten sehen eine recht hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Eurozone wie auch die USA in den kommenden Monaten in eine Rezession abrutschen werden. Es bleibt abzuwarten, ob die Zentralbanken in diesem Fall standhaft bleiben, und dem Kampf gegen die Inflation weiter den Vorzug geben werden.


   Mit dem September hat der statistisch schwierigste Börsenmonat begonnen 

Wie CMC anmerkt, verliert der DAX zunehmend den Kontakt zur Marke von 13.000 Punkten. Nachdem die Rede von Fed-Chef Jerome Powell in Jackson Hole am vergangenen Freitag mittlerweile verarbeitet worden sei, steht der Aktienmarkt nun vor einer saisonal schwierigen Zeit. Mit dem September beginne der schlechteste Monat des Aktienjahres, schaut man in der Statistik zurück. "Und wegen all der Unsicherheiten rund um die zukünftige Zinspolitik der Notenbanken, die steigende Inflation und die Turbulenzen am Energiemarkt befürchten die Anleger in diesem Jahr Schlimmes." Dieser Aussage kann man nur zustimmen - die Anleger sollten sich auf neue Jahrestiefs einstellen.

Kontakt zum Autor: manuel.priego-thimmel@wsj.com

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September 02, 2022 05:38 ET (09:38 GMT)