Von Michael Denzin

FRANKFURT (Dow Jones)--Etwas vorsichtiger dürften Anleger in der kommenden Woche an Europas Börsen vorgehen. Nach der Partylaune dank bullisch interpretierter Notenbanken rechnen Händler nun mit einem selektiveren Vorgehen bei der Aktienauswahl.

Mit den Aussagen der Zentralbanker ist klar, dass die Zinserhöhungen zwar weitergehen, das Tempo aber gemächlicher werden dürfte. Damit wurde ein großer Unsicherheitsfaktor für die Aktienbewertung von den Märkten genommen. Denn je höher die Marktzinsen erwartet werden, desto weniger Spielraum besteht für eine Aktienbewertung nach oben.

Nun ist zumindest ein Boden in den Bewertungen eingezogen, damit erfasste die Rally vor allem zinssensitive Aktien und Titel mit weit in der Zukunft liegenden Gewinnaussichten. Entsprechend bewegten sich im DAX auch völlig branchenfremde Aktien wie Vonovia und Zalando im Einklang nach oben.


   Europa kann noch Abschläge aufholen 

Der Kursanstieg in Europa könnte damit noch weitergehen, obwohl Aktien hierzulande seit Anfang Oktober schon um 20 Prozent gestiegen sind. Dies habe zusammen mit dem steigenden Euro zur größten Outperformance gegenüber dem US-Aktienmarkt seit 2009 geführt, unterstreichen die Strategen der Citi.

Katalysatoren für diese Entwicklung waren die fallenden Gaspreise, die Wiedereröffnung Chinas, die Schwäche des Dollar, ein Short-Squeeze, günstige Bewertungen und die Hoffnung, dass der Hochpunkt bei den Zinsen in Sicht sei.

Die Rally werde auch weiter durch niedrige Bewertungen und Mittelzuflüssen von Fonds gestützt. Die europäischen Aktien würden aktuell mit einem KGV-Abschlag von 30 Prozent gegenüber den US-Werten gehandelt - der langfristige Durchschnitt liege bei 15 Prozent. Aufholpotenzial ist also noch da.


  Aktienauswahl wird schwerer 

Schwieriger dürfte es dagegen mit der Aktienauswahl werden. So sagt Matthias Born, Chefanlagestratege von Berenberg Wealth & Asset Management: "2023 wird sich die Spreu vom Weizen trennen".

Nach der Korrektur der Aktienbewertungen im Vorjahr liege nun wieder der Fokus auf den Unternehmensgewinnen. Wegen der rezessiven Entwicklung in der Wirtschaft seien sie tendenziell unter Druck. Born ist optimistischer für Firmen, die Preissetzungsmacht haben.

Denn 2022 war es für viele Unternehmen noch recht einfach, die Preise anzuheben. Dies dürfte sich nicht mehr bei allen so leicht fortsetzen lassen. Hohe Marktanteile und klare Eintrittsbarrieren für Wettbewerber seien entscheidende Faktoren, um die Profitabilität abzusichern.

Gestützt sieht er Europas Aktien auch von einer "historisch sehr hohen Untergewichtung": "In vielen Kundengesprächen hat sich gezeigt, dass Europa in seiner Relevanz in den Portfolios abgenommen hat und wir historisch an einem Tiefpunkt sind." Das sollte Druck von den Kursen nehmen.


  Das Thema "abnehmender Inflationsdruck" hilft nicht mehr 

Vorbei sein dürfte es aber mit der Freude über den Inflationsrückgang. Dies war ein willkommenes Thema für die Börsen seit dem Winter, genau genommen aber nur Augenwischerei. Denn der "Rückgang" der Inflationsrate heißt nur, dass die Preise langsamer weiter steigen, nicht dass sie fallen.

Dazu fällt ein entscheidender Faktor künftig weg: Denn, "der Inflationseffekt der höheren Energiepreise verflüchtigt sich", warnt Svein Aage Aanes, Leiter des Fixed Income bei DNB Asset Management. Die Energiepreise waren bisher der größte Inflationstreiber; nun sei aber zu beobachten, dass sich das Inflationsrisiko auf längerfristige Inflationstreiber verlagere.


   China-Rückkehr könnte Preisanstieg beschleunigen 

Dies bereitet vielen Strategen Kopfzerbrechen: Denn die Wiedereröffnung Chinas wird einen weiteren Konkurrenten bei der Rohstoffnachfrage ins Spiel bringen und damit die Preise treiben.

Hier gab es gleich doppelt "schlechte" Nachrichten: Zum einen sprang der neueste Caixin-Einkaufsmanager-Index für China im Januar zum ersten Mal seit fünf Monaten in den Expansionsbereich. Und zwar gleich von 48,0 im Vormonat auf nun 52,9 Punkte. Dies führte klar vor Augen, wie sprunghaft und stark sich die Aktivität dort weiter erholen kann.

Zum anderen sorgten die Produzentenpreise (PPI) aus der Eurozone für lange Gesichter: Sie stiegen im Dezember gegenüber dem Vormonat bereits wieder um 1,1 Prozent an, während Volkswirte mit einem Rückgang um 0,4 Prozent gerechnet hatten. Zum Vorjahr sprangen die Preise um weitere 24,6 Prozent nach oben - einen Teil dieser Verteuerung wird mit Nachlauf auf die Konsumenten zukommen.

Der Markt könnte daher mit der Inflations-Story übertrieben haben. So warnt Gareth Jandrell, Fondsmanager im Anleiheteam von M&G, dass die Märkt "zu früh" auf die EZB reagiert hätten. Schließlich sei diese bei ihrer Formulierung geblieben, die Zinssätze deutlich und in gleichmäßigem Tempo anzuheben sowie die Zinssätze auf einem restriktiven Niveau zu halten. "Die Märkte aber reagierten so, als hätte die EZB gerade Zinssenkungen angekündigt", sagt Jandrell.


  Konjunkturerwartungen bei Unternehmen im Fokus 

Anleger sollten daher weiter genau auf Inflationsdaten achten, heißt es auch von anderen Strategen. Denn bei einem Volatilitätsindex VDAX von unter 17 Prozent sei der Markt schon kurz vor dem Zustand der Euphorie.

Kommende Woche dürfte zunächst die Berichtsaison die Kapazitäten der Anleger binden. Viele Konjunkturdaten stehen diesmal nicht an. Geblickt wird vor allem auf die Inflationsdaten in China, den Einzelhandel in der Eurozone und die Notenbanken in Schweden und Australien.

Bei den Unternehmen wird im DAX Linde seine letzten Daten als deutsches Indexmitglied vorlegen. Die Zahlen von Siemens, Voestalpine, Arcelormittal, Moeller-Maersk und anderen dürften vor allem als Konjunkturindikatoren gewertet werden.

Stark besetzt ist weiterhin der Finanzsektor mit BNP, Societe Generale, Credit Suisse, Zurich Insurance, Hannover Rück, Talanx und vielen anderen.

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February 03, 2023 07:29 ET (12:29 GMT)