Von Michael Denzin

FRANKFURT (Dow Jones)--Eine spannende Woche dürfte DAX & Co nach Ostern bevorstehen. Nach der verlängerten Pause über die Feiertage und mit der geldpolitischen Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) im Rücken könnten Neubewertungen an den Aktien- und Rentenmärkten vorgenommen werden. Für Anleger ist das Risiko jedoch hoch, beim Thema Inflation auf die falsche Story zu setzen.

Beim Krieg in der Ukraine hat der ständige Nachrichtenfluss zu einer gewissen Abstumpfung an den Märkten geführt. Solange sich am bisherigen Stil der Kriegsführung nichts ändert, könnte der Start in den Börsenhandel nach Ostern positiv ausfallen. Viele Marktteilnehmer gehen mit nahezu maximal ausgereizten Kursabsicherungen in das lange Wochenende. Dem Risiko noch schlimmerer Nachrichten mag sich kein verantwortungsvoller Fondsmanager bei einem Krieg gleich vor der Haustüre aussetzen. Die Eindeckungen dieser Wochenend-Hedges dürften dann zumindest am Dienstag die Märkte stabilisieren.


   Hoffnung auf "Peak Inflation" treibt 

Gleichzeitig scheinen die Börsen - aus für viele Marktteilnehmer nicht nachvollziehbaren Gründen - auf eine bald kommende Entspannung bei den gallopierenden Inflationsraten zu setzen. Das aktuelle Schlagwort zur Hoffnung heißt "Peak Inflation", also dass man das höchste Tempo des Inflationsanstiegs nun hinter sich hat. Die zehnjährigen US-Renditen fielen daraufhin unter 2,70 Prozent zurück und beförderten damit eine Entspannung an den Rentenmärkten. Entsprechend profitierten davon auch die zinsempfindlichen Technologiewerte und stützen vor allem die Kurse an der Wall Street.


   EZB lebt in "Fantasiewelt" 

Stützend dürfte auch die Ignoranz der EZB gegenüber ihrer eigentlichen Aufgabe, der Geldwertstabilität, wirken. Die für Spekulanten erfreuliche Liquidität wird trotz Rekordinflation nur in der langsamsten möglichen Gangart zurückgefahren. Von den üblichen Worthülsen zur Inflation, die irgendwann auch ganz bestimmt irgendwie zurückkommen könnte, sollten sich Anleger nicht blenden lassen.

Denn die EZB ignoriert seit Monaten die drastischen Warnungen von Spitzenökonomen aus der gesamten Eurozone. Selbst die Aufforderung des Chefs der deutschen Bundesbank, Joachim Nagel, zu schnellem Handeln war ihr Anfang April keine Reaktion wert, obwohl die EU-Verbraucherpreise im März um 7,5 Prozent gestiegen waren.

Unterstützung aus der deutschen Politik erhielt Nagel, ebenso wie Vorgänger Jens Weidmann, wie üblich nicht. Selbst der ehemalige Chef-Volkswirt der EZB und Mitbegründer des Euro, Otmar Issing, verzweifelt nun an der Notenbank: Sie lebe in einer "Fantasiewelt", warnte er in der "Financial Times".


   These steht auf dünnem Eis - PPI deutet auf noch mehr Inflation 

Die These vom "Inflation Peak" dürfte daher auf extrem dünnen Eis stehen. Unter anderem wies Jeffrey Halley, Senior Market Analyst von Oanda darauf hin, dass der Markt diese Hoffnung auf einem einzigen Datenpunkt innerhalb des gesamten Datenkranzes zur US-Inflation gestützt habe: Nämlich den etwas geringeren Anstieg der Kerninflation, und dass auch noch im hochvolatilen Monatsvergleich.

Anleger sollten sich daher weiter gegen einen ungebremsten Inflationsanstieg wappnen. Neben der EZB-Politik für Europa deutet sich dies auch in den USA an. Dort wurden nach dem Multi-Dekadenhoch der US-Verbraucherpreise (CPI) von 8,5 Prozent sogar noch schlechtere US-Produzentenpreise (PPI) vermeldet: Sie sprangen um 11,2 Prozent im März an und beschleunigten sich damit noch gegenüber dem Februar-Plus von 10 Prozent.

Da steigende Kosten der Produzenten aber Monate brauchen, bis sie beim Verbraucher sichtbar werden, gibt es keinen faktischen Grund auf einen Zenit in der Inflationsbeschleunigung zu setzen. Mit dem Zusammenbruch der Bullen-Story vom "Peak" könnten die Märkte auch wieder schnell auf Tauchstation gehen, vor allem mit den revidierten Inflationsdaten aus der Eurozone kommende Woche.


   Extrem negative Stimmung stützt - Margen im Fokus 

Technische Analysten sehen für den DAX nach unten überwiegend Kurse im 13.600er-Bereich. Für den US-Markt sind die meisten aber deutlich bullisher: Dort brach das Bullenlager ein auf den rekordverdächtigen Tiefstand von 15,8 Prozent. Wie die jüngste Umfrage des US-Anlegerverbandes AAII zeigt, sprang umgekehrt das Bärenlager auf 48,4 Prozent an. Solche extrem negativen Stimmungslagen werden von Anhängern der "Contrary Opinion"-Theorie oft als überverkauft und damit als Gelegenheit zum Einstieg gewertet.

Das dürfte es aber schon gewesen sein an positiven Faktoren. Denn an der Wall Street hat bereits die Berichtssaison begonnen und in Europa steht sie kurz bevor. Kommende Woche stehen bereits einige Zwischenberichte und erste Umsatzzahlen zum ersten Quartal an. Unter anderem von Nestle, Danone, einigen Autoherstellern sowie Chip- und Minenwerten.

Marktteilnehmer fürchten hier deutlich schlechtere Zahlen oder zumindest Ausblicke auf die Zukunft. VW hat hier bereits vor unberechenbaren Folgen des Ukrainekrieges auf die Lieferketten gewarnt.


   Ölpreis ist unkalkulierbares Risiko 

Dazu kommen weitere Risikofaktoren, die mit dem Ukrainekrieg korreliert sind, aber trotzdem additiv zuschlagen. So vor allem die völlig offene Entwicklung der Ölpreise. Als Kriegsgewinner Nummer Eins noch vor der Rüstungsindustrie hat das Ölkartell Opec daher auch keine Bereitschaft zur Aufstockung der Ölförderung gezeigt.

Entsprechend werden sich hohe Energiekosten weiter in die Margen der Unternehmen hineinfressen. Die Gewinnausblicke in der Berichtssaison dürften entsprechend negativ ausfallen und die Gewinnerwartungen nach oben kappen. Selbst auf dem aktuellen Niveau mit dem DAX über 14.000 Punkte seien deutsche Aktien dann noch zu teuer.


   Risiko "Gas-Embargo" in Deutschland: Geschönt und noch nicht eingepreist 

Nach Händlermeinung hat der Markt dieses Risiko noch nicht eingepreist - ganz zu schweigen von einem eventuellen Gas-Embargo gegen Russland, das im Prinzip allein auf Kosten Deutschlands gehen würde. So sah sich selbst der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Reiner Hoffmann, gezwungen, vor den Folgen eines Einfuhrstopps zu warnen: Es würde deutliche Einbrüche auf dem Arbeitsmarkt geben, wenn beispielsweise die Stahlproduktion zum Erliegen komme - ganze Lieferketten würden zusammenbrechen.

Kopfschütteln gab es im Handel auch zum Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute für Deutschland. Kritisiert wurde vor allem die Prognose einer BIP-Schrumpfung in 2023 von "nur" 2,2 Prozent selbst bei einem Gas-Embargo. Angesichts der Warnungen vieler Großunternehmen wie BASF wirke dies politisch schöngeredet. Denn allein im ersten Pandemie-Jahr sei das BIP schon um 4,6 Prozent eingebrochen, in der Finanzkrise 2009 sogar um 5,7 Prozent - Energie gab es in beiden Fällen genug.

Bei soviel Spekulation und Vermutung dürften sich Marktteilnehmer kommende Woche auf harte Fakten freuen: So das BIP aus China, das Beige Book der US-Notenbank und vor allem die frischen Einkaufsmanager-Indizes (PMI) rund um den Globus. Da sich in den April-Daten nun die volle Belastung durch Ukrainekrieg, die Russland-Sanktionen und die Lockdowns in China spiegelt, wird mit einem kräftigen Einbruch gerechnet.

Kontakt zum Autor: maerkte.de@dowjones.com

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April 14, 2022 07:30 ET (11:30 GMT)