Von Michael Denzin

FRANKFURT (Dow Jones)--Der Weg nach oben für die Aktienmärkte ist frei. Dank der lang erwarteten Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) können Anleger weiter auf billiges Geld setzen. Lediglich zu einer winzigen Rücknahme ihrer Anleihekäufe konnte sich die EZB durchringen. Dass ihr die Inflation egal ist, der Normalbürger ausgesetzt sind, ließ sie durchblicken. Aktuell wurde die Verbraucherpreis-Inflation (CPI) in Deutschland im August mit plus 3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr bestätigt. Das ist die höchste Rate seit Dezember 1993. Sollte so ein Zustand über zehn Jahre anhalten, entspräche das einer Vermögensenteignung von 47 Prozent. Doch nicht nur die EZB macht ihren Job des Geldwerterhaltes nicht, bei Metzler Asset Management sieht man darin sogar eine Form von "Staatsversagen".


   Inflation wird nicht bekämpft - Keine Alternative zu Aktien 

In diesem Umfeld kann für Aktienanleger weiter nur das Motto "TINA" gelten - "There is no Alternative". Trotz ihrer hohen Kurse gebe es nichts anderes als die Investition in Aktien, meint Andreas Gilgen, Leiter des Portfoliomanagement bei der Bank Alpinum: "Dieses Jahr wurde doppelt bestraft, wer keine Aktienanlagen in den dominanten Märkten USA und Europa hatte, denn nebst verpassten zweistelligen Kursgewinnen werden beispielsweise Bürger aus Deutschland mit Inflationszahlen konfrontiert, die es seit 1993 nicht mehr gab", so Gilgen mit Blick auf die 3,9 Prozent. Der Markt gehe sogar davon aus, dass sie noch weiter ansteigen wird.

An die Aussagen der EZB von einer nur zeitweilig erhöhten Inflation glaubt er nicht: "Wir denken, dass der Begriff 'temporär' länger dauern könnte als nur wenige Monate oder Quartale, denn langsam zeichnen sich nebst der Inflation bei Gütern auch eine solche bei Löhnen ab", warnt der Stratege. So ließen in Deutschland die Gewerkschaften schon wieder die "Muskeln spielen".


   Auch US-Inflation durch Lohndruck unterschätzt 

Aber auch in den USA droht Inflation durch steigende Löhne - Anleger sollten sich durch den schwachen US-Arbeitsmarktbericht für August von vergangener Woche nicht in die Irre führen lassen. Da die zusätzlichen US-Hilfen von 1.200 Dollar im Monat in den USA am vergangenen Wochenende ausgelaufen sind, dürften sich nun viele Arbeitslose auf Jobsuche machen, was sich in den nächsten US-Arbeitsmarktdaten für September widerspiegeln wird. Ein Stratege rechnet hier schon mit 1,2 bis 1,5 Millionen neuen Stellen.

Bei BNY Mellon sieht Makro-Stratege John Velis kräftig steigende Löhne in den USA, denn im Moment würden Angebot und Nachfrage am US-Arbeitsmarkt nicht mehr zusammenpassen. So habe die JOLTS-Umfrage (Job Openings and Labor Turnover Survey) fast 11 Millionen unbesetzte Stellen in den USA angezeigt im Juli - ein Allzeithoch. Damit gebe es jetzt sogar noch mehr Jobs als durch Corona zerstört worden waren.

Dazu habe der JOLTS-Bericht eine "Quits Rate" von 3,1 Prozent gezeigt, den höchsten Wert seit 2001. Sie zeige, dass schon drei von hundert Arbeitern ihre Stelle wieder verlassen, weil woanders noch höhere Löhne locken. Per Saldo seien all dies die Zutaten für eine potenzielle Lohn-Inflation. Die Inflation werde daher höher und länger werden, als die Fed glaubt, warnt Velis.


   Sonderfaktoren Verfalltag und DAX-40 

Ablenkung vom Thema Inflation verschafft kommende Woche der DAX als Sonderfall: Zum einen steht der Große Verfalltag der September-Derivate am kommenden Freitag bevor, der immer wieder für Sonderbewegungen sorgen kann. Schon der kurze Kurseinbruch der ablaufenden Woche war ein Vorbote davon. Denn Investoren verkaufen üblicherweise kurzlaufende Call-Optionen, um die Prämie einzustreichen. Kurze und scharfe Kurseinbrüche sind ihnen daher genehm, da sie die Volatilität steigern und damit die Prämien nach oben treiben.

Das noch größere Event ist jedoch die DAX-Aufstrockung um 10 neue Mitglieder. Der Freitags-Verfalltag ist dann der letzte Tag des DAX-30-Index - am folgenden Montag wird er als DAX-40 wiedergeboren. Auch dies könnte im Wochenverlauf immer wieder zu Sonderbewegungen im Index durch Portfolioanpassungen sorgen.


   Erst mal abwärts mit DAX-40 

Viel zu Feiern werden Anleger aber mit dem neuen DAX-40 nicht sofort haben: Eine Untersuchung von Jörg Scherer bei HSBC Trinkaus zeigt, dass Großanleger im Vorfeld der Indexänderungen die Kurse treiben. Danach geht es erst einmal abwärts. Der Tiefpunkt der Kursrückgänge ist dann statistisch im Mittel 12 Tage nach der Indexänderung erreicht. Scherer hatte dazu 19 Termine mit Indexumstellungen seit dem Jahr 1987 untersucht.

Die gute Nachricht für Anleger ist, dass die Kursverluste danach wieder aufgeholt wurden. Für Anleger also kein Grund, in den kommenden Wochen dem Aktienmarkt fern zu bleiben.

Kontakt zum Autor: maerkte.de@dowjones.com

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September 10, 2021 06:51 ET (10:51 GMT)