MOSKAU/WASHINGTON (dpa-AFX) - Russland sieht einen möglichen Verzicht auf US-Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 als Schritt hin zu einer Normalisierung der Beziehungen mit Washington. Sollte der Medienbericht stimmen, dann "zeigt sich ein Hauch von Normalität in der amerikanischen Politik", sagte Vize-Außenminister Sergej Rjabkow am Mittwoch in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Ähnlich äußerte sich der Kreml. Sprecher Dmitri Peskow wies aber darauf hin, dass es dafür noch keine offizielle Bestätigung aus Washington gebe.

Hintergrund sind Recherchen der US-Nachrichtenseite "Axios" vom Dienstag, wonach die US-Regierung auf die Anwendung von Sanktionen gegen die Nord Stream 2 AG und deren deutschen Geschäftsführer Matthias Warnig verzichten will. Das US-Außenministerium will demnach einem bevorstehenden Bericht an den US-Kongress zufolge nur einige weitere russische Schiffe mit Strafmaßnahmen belegen. Der Bericht an den Kongress ist alle 90 Tage fällig, die Frist läuft diese Woche aus.

Die Republikaner im US-Kongress reagierten nach Bekanntwerden der Recherchen empört. Der Top-Republikaner im Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses, Michael McCaul, teilte mit, sollte der "Axios"-Bericht zutreffen, wäre das ein Indiz dafür, dass die Biden-Regierung die Pipeline nie wirklich habe verhindern wollen.

"Diese Pipeline ist kein einfaches kommerzielles Projekt, das unsere Beziehungen mit (der Regierung in) Berlin beeinträchtigen könnte. Es ist ein russisches Projekt der böswilligen Einflussnahme, das die Energieabhängigkeit Europas von Moskau zu vertiefen droht", kritisierte McCaul. "Wenn das Putin-Regime diese Pipeline fertigstellen darf, dann nur, weil die Biden-Regierung sich dazu entschlossen hat, das zuzulassen." Der republikanische Senator Ben Sasse warf Biden vor, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin "ein massives strategisches Druckmittel in Europa zu geben".

"Axios" interpretierte die angebliche Entscheidung der Biden-Regierung so, dass diese nicht willens sei, ihre Beziehungen mit Deutschland wegen Nord Stream 2 zu zerrütten. Die fast fertiggebaute Ostsee-Pipeline zählt seit Jahren zu den Hauptstreitpunkten in den deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Russland kritisierte das Vorgehen der USA gegen die fast fertiggestellte Pipeline scharf. Es sei bedauerlich, dass die Amerikaner ihren Willen selbst den Verbündeten diktierten, sagte Rjabkow. "Wir betrachten alle gegen uns angewandten amerikanischen Sanktionen als unrechtmäßig." Moskau rechnet trotz Strafmaßnahmen mit einer Fertigstellung der Pipeline.

An diesem Mittwoch wollte sich Außenminister Sergej Lawrow persönlich mit seinem US-Kollegen Antony Blinken treffen.

Blinken hatte noch am Dienstag in einem Telefonat mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas erneut betont, dass die USA die Pipeline von Russland nach Deutschland weiterhin ablehnten, wie das Außenministerium in Washington mitteilte. "Außenminister Blinken unterstrich die Entschlossenheit der USA, mit Verbündeten und Partnern zusammenzuarbeiten, um russischen Bestrebungen entgegenzuwirken, die unsere kollektive Sicherheit untergraben."

Unterdessen reichte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) beim Verwaltungsgericht Schwerin Klage gegen die von Nord Stream finanzierte "Stiftung Klima- und Umweltschutz MV" ein. Als Begründung nannte die DUH, dass der Klima- und Umweltschutz lediglich als Vorwand genutzt werde. Tatsächlicher Hauptzweck der Stiftung sei es offensichtlich, über einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb den Weiterbau der Pipeline Nord Stream 2 zu ermöglichen.

Nord Stream 2 soll nach Fertigstellung 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr von Russland nach Deutschland befördern. Die USA befürchten eine zu starke Abhängigkeit Europas von russischem Gas durch das Projekt. Auch osteuropäische Staaten wie Polen und die baltischen Länder lehnen die Pipeline ab. Befürworter halten den Amerikanern entgegen, sie seien nur auf bessere Absatzchancen für ihr Flüssiggas in Europa aus.

Biden hatte Nord Stream 2 wiederholt als "schlechten Deal für Europa" bezeichnet. Ende 2019 waren die Bauarbeiten an der schon sehr weit gediehenen Pipeline gestoppt worden, nachdem die USA ein erstes Sanktionsgesetz (Peesa) gegen die Spezialschiffe in Kraft gesetzt hatten, die die Rohre verlegten. In einem zweiten Gesetz (Peesca) wurden die Sanktionsmöglichkeiten deutlich breiter gefasst. Beide Gesetze wurden im Kongress sowohl von Republikanern als auch von Demokraten unterstützt./cy/DP/fba