TUNIS (dpa-AFX) - Die Erwartungen an alle Beteiligten sind hoch: Nach fast zehn Jahren Bürgerkrieg haben Libyens Konfliktparteien politische Gespräche unter Vermittlung der Vereinten Nationen begonnen. Die UN-Libyenbeauftragte Stephanie Williams zeigte sich zum Auftakt des Treffens in der tunesischen Hauptstadt Tunis am Montag vorsichtig optimistisch. "Wir stehen am Rande eines neuen Libyens nach Jahren der Teilung, Zerstörung und multiplen Krisen", sagte sie. Es gebe endlich einen "Hoffnungsschimmer".

UN-Generalsekretär António Guterres ermahnte die 75 Teilnehmer in einer Video-Ansprache: "Die Zukunft Libyens liegt jetzt in ihren Händen."

Die Gespräche sind ein erneuter Versuch, den Konflikt in dem nordafrikanischen Land politisch zu lösen. Alle bisherigen Versuche hatten den Krieg nicht beenden können. Der Krieg im ölreichen Libyen war nach dem mit westlicher Hilfe erfolgten Sturz des Langzeitherrschers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 ausgebrochen. Befeuert wird er von ausländischen Staaten, die trotz eines UN-Embargos Waffen, Söldner oder andere Ausrüstung ins Land schicken. Zu den Einflussmächten gehören neben anderen die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, Tschad, Ägypten und Russland.

Anders als bei der Berliner Libyen-Konferenz Anfang dieses Jahres handelt es sich nun um rein innerlibysche Gespräche. Die Teilnehmer in Tunis sollten unter anderem den Weg zu Wahlen ebnen, sagte Williams. Diskutiert werden solle auch über die Bildung einer Einheitsregierung und über Rechts- und Verfassungsfragen.

Einer der Hauptakteure in dem Konflikt ist die international anerkannte Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch, die ihren Sitz in der Hauptstadt Tripolis hat. Sie kämpft gegen den einflussreichen General Chalifa Haftar und dessen Libysche Nationalarmee (LNA). Haftar ist mit einer Gegenregierung in Ost-Libyen verbündet. Allerdings gibt es auf beiden Seiten auch interne Spannungen. Eine von Haftar im vergangenen Jahr begonnene Offensive auf Tripolis konnte die Regierung nicht stürzen. Nach der Einigung auf eine Waffenruhe wuchsen zuletzt die Hoffnungen auf eine Lösung für den blutigen Konflikt.

Mindestens 400 000 Menschen sind nach UN-Angaben durch die seit fast zehn Jahre dauernden Kämpfe in Libyen vertrieben worden. Die rund sieben Millionen Libyer leiden unter den katastrophalen Folgen des Konflikts. Es fehlt an Strom, Trinkwasser, sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Hinzu kam die Corona-Pandemie, die das ohnehin schon überlastete Gesundheitssystem zusätzlich beutelt.

"Wir wissen, dass keine einzige Dialogrunde alle Probleme Libyens lösen kann", hatte Williams am Vorabend der Gespräche gesagt. Sie forderte die Parteien jedoch auf, "einige der dringendsten Probleme zu lösen, die das tägliche Leben des libyschen Volkes betreffen". Könne man am Ende kein einziges Problem lösen, werde eine zukünftige Lösung für Libyen unmöglich, sagte sie zu Beginn der Gesprächsrunde.

Die Unterzeichnung des Waffenstillstands Mitte Oktober sei ein erster und grundlegender Schritt gewesen, sagte UN-Generalsekretär Guterres in seiner Video-Ansprache. Nun seien alle Beteiligten in Tunis gefragt. Die UN unterstütze sie dabei.

Das Auswärtige Amt dankte der UN für ihre Arbeit. "Nach der Unterzeichnung der Waffenstillstandsvereinbarung ist der heute in Tunis gestartete persönliche Austausch des innerlibyschen politischen Dialogforums der nächste Meilenstein auf dem Weg hin zu Frieden in Libyen", sagte eine Sprecherin des Ministeriums in Berlin. Er eröffne den Libyerinnen und Libyern "eine lang ersehnte Chance auf ein dauerhaftes Ende des Konflikts und eine friedliche Zukunft in einem geeinten Land." Für einen erfolgreichen Abschluss würden schwierige Entscheidungen und schmerzhafte Kompromisse gemacht werden müssen, hieß es weiter.

Der tunesische Präsident Kais Saied bezeichnete den Auftakt in seiner Rede bei der Eröffnungsfeier als einen "historischen Moment". Das vergleichsweise kleine Nachbarland Libyens sei stolz auf dieses Treffen, das den Auftakt zu einer neuen Legitimität Libyens gebe.

"Die 75 Vertreter am selben Tisch ist ein gutes Zeichen, aber an sich keine Quelle der Legitimität", sagte Jalel Harchaoui vom niederländischen Clingendael-Institut. Es sei noch zu früh, um zu erklären, dass die bloße Anwesenheit der 75 Delegierten ein bedeutendes Ereignis sei.

Die Zusammenkunft sei erst einmal ein gutes Zeichen. Die Waffenruhe stelle "eine recht gute Arbeitsgrundlage" dar und erkläre den Optimismus. "Die UN-Vermittler laufen jedoch Gefahr, zu naiv und allzu ehrgeizig zu sein", sagte Harchaoui. Aus den in Tunis getroffenen Entscheidungen könnten noch eine Reihe zugeschlagener Türen und Krisen hervorgehen. Wichtig sei vor allem, wie das, was sich aus diesen Sitzungen ergebe, in Libyen aufgenommen werde./nia/DP/stw