Von Carol Ryan
LONDON (Dow Jones)--Sparsame US-amerikanische und europäische Öl- sowie Gasunternehmen erleichtern Saudi-Arabien und Russland die Finanzierung ihrer politischen Manöver. Die von Saudi-Arabien angeführte Organisation erdölexportierender Länder (Opec) und ihre von Russland geführten Verbündeten wetten angesichts der kürzlich verlängerten freiwilligen Förderkürzungen darauf, dass der Westen nicht mehr so stark auf höhere Ölpreise reagiert wie früher. So weit, so gut für die Opec+. Selbst bei einem Ölpreis von über 90 US-Dollar pro Barrel waren zuletzt in den USA elf Bohrlöcher weniger in Betrieb als eine Woche zuvor, und 134 weniger als vor einem Jahr, so der Ölfelddienstleister Baker Hughes.
Ölkonzerne wie Exxon Mobil und Chevron stehen nach Jahren schlechter Renditen unter Druck, den Aktionären Bargeld auszuzahlen. Laut Analyst Daan Struyven von Goldman Sachs reinvestieren börsennotierte US-Ölproduzenten heute nur die Hälfte ihres operativen Cashflows, verglichen mit 90 Prozent oder mehr in den Jahren vor der Pandemie. Dies hat der OPEC+ möglicherweise die Gewissheit gegeben, dass sie das Angebot auch bei ungewöhnlich hohen Ölpreisen drosseln kann, ohne so viele Marktanteile zu verlieren wie auf dem Höhepunkt des Schieferbooms. Die europäischen Giganten Shell und BP werden wahrscheinlich noch weniger schnell auf die hohen Preise reagieren, da es Jahre dauern kann, bis ihre Projekte, insbesondere Offshore, mit der Produktion beginnen.
Auf längere Sicht könnte Ölpreis von 100 Dollar ins Haus stehen
Derweil deuten die rekordhohe Ölnachfrage und das unter den Erwartungen liegende Opec+-Angebot auf ein Defizit von mehr als einer Million Barrel pro Tag für das letzte Quartal 2023 hin. Viele Analysten gehen davon aus, dass der Ölpreis in naher Zukunft auf mehr als 100 Dollar klettert. Mit Blick auf das Jahr 2024 werden nach Bernstein-Schätzungen zusätzlich eine Million Barrel pro Tag benötigt, um die Nachfrage zu decken. Das Angebot aus Nicht-Opec-Quellen deckt möglicherweise nur etwa die Hälfte davon ab, daher wird sich die Welt darauf verlassen, dass das Kartell den Hahn öffnet.
Ein solch angespannter Markt ist eine gute Nachricht für Saudi-Arabien und Russland. Die saudische Regierung muss den Ölpreis über 80 Dollar halten, um ihren Haushalt auszugleichen. Das gilt insbesondere, da teure Infrastrukturprojekte wie die futuristische Wüstenstadt Neom nicht so viele ausländische Investitionen angezogen haben wie erhofft. Auch Russland steht unter Druck. Laut S&P Global Commodity Insights hat sich der fiskalische Breakeven-Ölpreis des Kremls seit Beginn des Ukraine-Kriegs von 64 Dollar vor der Invasion auf 114 Dollar pro Barrel hochkatapultiert. Russland hätte durch einen niedrigen Ölpreis viel zu verlieren, was erklären könnte, warum es in den vergangenen Monaten die Opec+-Quoten stärker eingehalten hat.
Saudi-Arabien investieren mehr als der Westen
Sofern es in absehbarer Zeit nicht zu einem starken Rückgang der weltweiten Ölnachfrage kommt, sollten geringere Produktionsausgaben westlicher Energiekonzerne die Opec+ stärken. Verglichen mit dem Niveau vor der Pandemie haben vor allem Ölkonzerne aus dem Nahen Osten wie Saudi Aramco und Abu Dhabis Adnoc viel schneller reinvestiert als die US-amerikanischen und europäischen Wettbewerber. Laut Analystin Olga Savenkova von Rystad Energy wird dieser Trend voraussichtlich mindestens bis 2025 anhalten.
Russland und Saudi-Arabien müssen allerdings weiterhin vorsichtig sein, um die Preise nicht so weit in die Höhe zu treiben, dass die Nachfrage gebremst wird und Investitionen in alternative Energiequellen wie Solar- und Windenergie attraktiver werden. Warren Patterson, Leiter der Rohstoffstrategie bei ING, weist zudem darauf hin, dass die Opec geopolitischem Druck ausgesetzt sein könnte, im Jahr 2024 mehr Fördermengen freizugeben. Sowohl die USA als auch Indien - ein großer Abnehmer von russischem Öl - halten im nächsten Jahr Wahlen ab und werden sensibel darauf reagieren, wie die Wähler über die Benzinpreise denken.
Westliche Ölkonzerne hoffen, dass satte Dividenden und Aktienrückkäufe ihre Aktienbewertungen nach oben treiben. Doch die Kehrseite wird immer deutlicher: Öllieferanten, die nationale Interessen in den Vordergrund stellen, dominieren zunehmend das Feld.
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September 26, 2023 09:28 ET (13:28 GMT)