Frankfurt - Der Gipfelsturm ist gelungen: Ein Bitcoin kostet erstmals in seiner Geschichte an den Finanzmärkten mehr als 100.000 Dollar.
Der Preis der ältesten und bekanntesten Kryptowährung schoss am Donnerstag um bis zu 5,9 Prozent auf 103.619 Dollar nach oben. In diesem Jahr hat sich der Kurs damit mehr als verdoppelt. Seit dem Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl träumen die Anleger von einer kryptofreundlichen US-Regierung und laxeren Vorschriften, der Kurs ist allein in diesen vier Wochen um mehr als 50 Prozent gestiegen. Denn während in der Vergangenheit von den Behörden oft über Maßnahmen zur Regulierung von Cyber-Devisen nachgedacht wurde, hat Trump angekündigt, die Vereinigten Staaten zum "Krypto-Zentrum des Planeten" zu machen.
Marktteilnehmer werten den Fall der psychologisch wichtigen Marke als Ritterschlag für die Kryptobranche, die lange mit ihrem Schmuddel-Image zu kämpfen hatte. "Wir sind Zeugen eines Paradigmenwechsels", sagte Mike Novogratz, Gründer und CEO des US-Kryptounternehmens Galaxy Digital. "Bitcoin und das gesamte Ökosystem digitaler Vermögenswerte stehen kurz davor, in den finanziellen Mainstream einzutreten - diese Dynamik wird durch institutionelle Akzeptanz, Fortschritte bei Tokenisierung und Zahlungen und einen klareren regulatorischen Weg angetrieben."
Kritiker sehen in einer weitverbreiteten Nutzung von Kryptowerten ohne strenge Regeln aber auch eine offene Tür für Marktmanipulation und instabilere Finanzmärkte. Da die Geschäfte weitgehend anonym abgewickelt werden, scheinen sie für kriminelle Vorhaben wie gemacht zu sein. Kurssprünge und Volatilität vieler Kryptowerte sind zudem extrem. Die möglichen Auslöser sind vielfältig und für Privatanleger kaum im Blick zu behalten. Zudem gibt es IT-Risiken wie Hackerangriffe, bei denen Anlegern Totalverluste drohen.
BRANCHE FEIERT NEUEN SEC-CHEF
Viele Anleger lassen sich dennoch von der Euphorie-Welle mitreißen. Den letzten Kick für den Sprung über die 100.000 Dollar gab den Spekulanten am Mittwoch offenbar die Nominierung des als Freund der Branche geltenden Paul Atkins als neuer Chef der US-Börsenaufsicht SEC. Börsianer hofften, dass nun sämtliche Regeln und Entscheidungen unter der Federführung des bisherigen Chefs der Behörde, Gary Gensler, auf Herz und Nieren geprüft würden und der Regulierungsgürtel in Zukunft deutlich gelockert werde, sagte Analyst Timo Emden von Emden Research.
Atkins engagiert sich in der Kryptopolitik als Co-Vorsitzender der Token Alliance, die sich für die "Entwicklung von Best Practices für die Ausgabe digitaler Vermögenswerte und Handelsplattformen" einsetzt, sowie als Mitglied des Beirats des umfassenderen Blockchain-Handelsverbands, des Chamber of Digital Commerce. Der Milliardär Elon Musk, ein wichtiger Verbündeter Trumps, ist ebenfalls ein Befürworter von Kryptowährungen.
SECHSSTELLIGKEIT ALS LOCKSTOFF FÜR WEITERE ANLEGER?
Analysten sehen trotz der fulminanten Bitcoin-Rally noch Luft nach oben. Ein nachhaltiges Meistern der Schallmauer von 100.000 Dollar könnte weitere Anschlusskäufe nach sich ziehen, sagte Analyst Emden. Kurz vor dem Wahlsieg Anfang November hatte ein Bitcoin noch knapp 68.000 Dollar gekostet und hat damit seitdem um rund 47 Prozent aufgewertet. Ende 2018 war ein Bitcoin noch für unter 3200 Dollar zu haben gewesen. "Die Stimmung ist vergleichbar mit der am Neuen Markt zur Jahrtausendwende", sagte Marktexperte Jürgen Molnar vom Broker Robomarkets. Wenn sich nun noch in den Medien Schlagzeilen wie "Jetzt mit Kryptos reich werden" häuften, sollten Anleger spätestens dann Gewinne mitnehmen, ergänzte er.
Die treibende Kraft hinter der Rally sind nach Meinung von Analysten ohnehin nicht Privatanleger, sondern institutionelle Großinvestoren. In den USA notierte börsengehandelte Bitcoin-Fonds wurden im Januar zugelassen und haben zu Käufen im großen Stil geführt. Seit der Wahl sind mehr als vier Milliarden Dollar in diese Fonds geflossen. "Digitale Vermögenswerte als Anlageklasse werden immer normaler", sagte Geoff Kendrick, globaler Leiter der Abteilung für digitale Vermögenswerte bei Standard Chartered. "Wenn man ein paar Jahre vorspult, wird es auf den Handelsplätzen einen Verkaufs- und Handelsschalter geben, der neben Devisen, Zinsen und Rohstoffen steht."
(Bericht von Reuters-Redaktionen, geschrieben von Anika Ross, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)