Immer wieder ist zu hören, die Börsen würden künftige Entwicklungen vorwegnehmen. Das ist ein Märchen. In Wahrheit wiegt die „launische Diva“ ihre Schäfchen nur zu gern in einer falschen Sicherheit. So auch jetzt wieder…

Die aktuelle Lage erinnert stark an den Sommer 2007: Obwohl der US-Immobilienmarkt seinerzeit längst lichterloh brannte, taten die Anleger so, als sei alles in bester Ordnung:

Mitten im „schönsten“ Krisenumfeld markierte der Dow Jones im August 2007 ein neues Allzeithoch.

Soviel zu dem Märchen, die Börsen würden künftige Entwicklungen vorwegnehmen. In der Praxis ist oft das genaue Gegenteil zu beobachten: Die Börsen laufen den Entwicklungen nicht voraus, sondern hinken ihnen mehr oder weniger deutlich hinterher…

Heute ist das wieder so ähnlich:

Aktuell lässt sich nicht nur ein erneut massiv überbewerteter US-Immobilienmarkt bestaunen. Hinzu kommen Probleme bei US-amerikanischen Auto- und Studentenkrediten, drohende Pleiten diverser US-Pensionsfonds, rettungslos überschuldete US-Fracking-Firmen – und zusätzlich ein ganzes Sammelsurium an Krisenherden, wovon jeder für sich genommen eine Fortsetzung der Finanzkrise von 2008 einleiten könnte.

Beginnen wir mit einem Blick auf einige ökonomische Kennzahlen:

Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Unternehmensschulden in den USA in Relation zur Wirtschaftsleistung (BIP). Die senkrechten Balken markieren beginnende rezessive Phasen. Die Schlussfolgerung: Die Verbindlichkeiten der Firmen in den USA haben in Relation zum BIP heute wieder ein Niveau erreicht, von dem aus in früheren Zyklen regelmäßig eine Wende nach unten eingeleitet wurde. Verbunden damit waren eine Rezession, steigende Arbeitslosenzahlen und fallende Aktienkurse….

Sollte das Verhältnis zwischen Schulden und BIP jetzt erneut anfangen zu kippen, werden die Kreditgeber (einschließlich der Anleihen-, Fonds- und ETF-Investoren) ihre Anlagen verkaufen wollen. Die Gretchenfrage lautet: An wen? Gibt es dann keine Käufer, erfolgt die Anpassung über die Preise…

In einigen Regionen der Welt sieht man solche Preisanpassungen bereits, namentlich in den Emerging Markets, Beispiel Brasilien:

Seit seinem Rekordhoch im Februar hat der brasilianische Leitindex Bovespa rund 18 Prozent an Wert eingebüßt. Demnach fehlt nur noch ein Wimpernschlag, und der Index befindet sich nach der 20-Prozent-Regel offiziell in einem Bärenmarkt. Der langfristige Kursverlauf auf Monatsbasis in der folgenden Abbildung ist da ziemlich eindeutig. Die seit Anfang 2016 laufende Brasilien-Hausse ist mit großer Wahrscheinlichkeit beendet…

Quelle: onvista.de

Zur Einordnung ein paar Kennzahlen: Brasilien ist die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt und rangiert mit seinem Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen Italien und Frankreich. Das bedeutet: Sollte Brasilien kippen, dann könnte dies weltweit Folgen haben, zumal solche Problemherde gerne zunächst auf die Nachbarländer übergreifen und sich dann weiter ausbreiten.

Nur zur Erinnerung: Weltweite Bärenmärkte haben schon öfter in den Emerging Markets begonnen. Man denke etwa an die Asien- oder die Russland-Krise Ende der 1990er Jahre…

Heute sind insbesondere zwei der krisengeschüttelten Nachbarstaaten Brasiliens gefährdet, nämlich Argentinien und Venezuela…

Doch wir sehen hier ein grundsätzliches Problem: Wegen der steigenden Zinsen in den USA und dem erstarkenden US-Dollar geraten immer mehr aufstrebende Regionen unter Druck:

Die Niedrigzinsphase der vergangenen Jahre hatte zur Folge, dass sich insbesondere die Schwellenländer billig verschulden konnten. Die billigen US-Dollars wurden auch wegen der wesentlich höheren Zinsen in die Schwellenländer geschleust und haben dort einen künstlichen Boom entfacht.

Wegen steigender US-Zinsen fließt nun viel Kapital in die Vereinigten Staaten zurück. Die Türkei und Argentinien stehen als Folge dessen bereits am Rande oder mitten in einer Währungskrise. Dass wir es bei der Zinsentwicklung in den USA mit einem längerfristigen Phänomen zu tun haben, zeigt die folgende Abbildung. Der seit 30 Jahren gültige Abwärtstrend bei den Zinsen in den USA ist beendet…

Quelle: StockCharts.com

Das heißt, der Druck auf die Emerging Markets wird mittelfristig eher weiter steigen als fallen.

Daneben empfiehlt es sich, die folgenden Problemherde im Hinterkopf zu behalten:

  1. Die Schwierigkeiten bei der Deutschen Bank könnten schwere Verwerfungen an den weltweiten Derivatemärkten auslösen. Gleiches gilt für den wankenden italienischen Bankensektor. Anleger, die Zertifikate, Optionsscheine und andere Derivate handeln, könnten von solchen Problemen „vollkommen überrascht“ werden. An den Kapitalmärkten würden solche Entwicklungen ein gewaltiges Erdbeben auslösen – denn mit dem Ausfall dieser „Massenvernichtungswaffen“ (Warren Buffett) rechnet derzeit so gut wie niemand…
  2. Die neue Regierung in Italien macht keinen Hehl daraus, Brüsseler und Berliner Spardiktaten künftig einen Riegel vorzuschieben. Ein Austritt einer großen Volkswirtschaft aus der Europäischen Währungsunion ist damit erstmals seit Einführung des Euro eine realistische Option.
  3. Immer mehr Länder beenden den Öl-Handel in US-Dollar, zuletzt der Iran. Der weltweit installierte Petro-Dollar gerät durch diese Entwicklungen immer stärker unter Druck – und damit das „Geschäftsmodell“ der Vereinigten Staaten, hochwertige industrielle Waren gegen wertloses bedrucktes Papier einzutauschen…
  4. Dies führt dazu, dass auch die geopolitischen Spannungen weiter anwachsen werden, denn mit dem Petro-Dollar gerät eine zentrale Stellschraube der weltweiten Kapitalmärkte unter Beschuss. Die größte Militärmacht der Welt wird dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen…

Nicht zuletzt könnte ein Ende der Großen Koalition in Deutschland wegen des Streits in der Union in der Asylproblematik zu erheblichen Turbulenzen in ganz Europa führen. Das Problem wird derzeit an den Börsen praktisch vollständig ausgeblendet. Schon in wenigen Tagen könnte das anders sein…

Unterm Strich scheint es daher ratsam, jetzt keine großen Risiken mehr einzugehen, denn die Zutaten für eine größere „Preisanpassungskrise“ an den Aktienmärkten sind längst eingerührt. Nach aller Erfahrung genügt in solchen Situationen ein Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.

Gut möglich also, dass die Schweizer der vor Wochenfrist verpassten Gelegenheit, eine Geldreform anzustoßen, schon bald hinterhertrauern werden. Denn wegen des enormen Gewichts des Schweizer Finanzsektors wird die nächste Krise das Land der Eidgenossen ganz besonders hart treffen…

Autor: Andreas Hoose, Chefredakteur Antizyklischer Börsenbriefein Service der BörseGo AG

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Bildquelle: markteinblicke.de