Zurich weist eine solide Eigenkapitalausstattung (Solvabilität) auf, die von der Aufsichtsbehörde bei Versicherern besonders streng überwacht wird. Die Gruppe ist im Grunde überkapitalisiert und nutzt ihre Überschüsse für kleinere Akquisitionen, um Risiken auszugleichen (Übernahme des Lebensversicherungsgeschäfts von ANZ in Australien vor drei Jahren), den amerikanischen Markt zu konsolidieren (Kauf der Schaden- und Unfallversicherungssparte von Metlife im letzten Jahr) oder ihr Dienstleistungsgeschäft zu stärken (Kauf von Cover-More).

Chart Zurich Insurance Group Ltd

Vor allem aber scheint Zurich die schwierigen Jahre 2013 bis 2016 endlich hinter sich gelassen zu haben. In dieser Zeit musste der Versicherer einige Rückschläge hinnehmen: das Scheitern der (nicht risikolosen) Übernahme von RSA, außergewöhnliche Verluste im Schaden- und Unfallversicherungsgeschäft aufgrund mangelnder Disziplin sowie einen missglückten Vorstoß nach Russland. Damals kehrten die Führungskräfte dem Unternehmen scharenweise den Rücken, was der Gruppe letztendlich aber auch gutgetan hat.

Unter dem heutigen CEO Mario Greco („Super-Mario“, wie einige ihn nennen), der zuvor den Konkurrenten Generali in den Turnaround geführt hatte, ist das Unternehmen wieder auf Kurs. Greco hat nicht nur für eine bessere Kostenstruktur und eine schlankere Bürokratie gesorgt, sondern auch den strategischen Fokus verstärkt auf das Schaden- und Unfallversicherungsgeschäft (P&C) sowie das margenstärkere, weniger regulierte Dienstleistungsgeschäft verlagert.

Versicherungsaktien werden je nach Anlegertyp aus unterschiedlichen Gründen als attraktiv eingeschätzt. Für konservative bzw. „Value“-Anleger sind sie interessant, wenn sie unter ihrem Eigenkapitalwert gehandelt werden. Mit einer Eigenkapitalrendite in guten Jahren von um die 10 % ist das Gewinnpotenzial (eine angemessene Risikovorsorge vorausgesetzt) auf lange Sicht gut.

Für institutionelle oder ertragsorientierte Anleger zählt hingegen vor allem die Dividende. Da die Versicherungsbranche extrem stark reguliert wird, ähneln diese Aktien zunehmend Anteilsscheinen im Versorgungssektor, die (vorsichtig formuliert) a priori stabile Erträge gewährleisten. Mit einer aktuellen Dividendenrendite von 5,3 % dürfte die Zurich-Aktie für diese Anleger durchaus von Interesse sein.

MarketScreener teilt deren Einschätzung. Die aktuelle Marktkapitalisierung des Versicherers in Höhe von 56 Milliarden CHF (61 Milliarden US-Dollar) entspricht dem 1,6-Fachen seines Eigenkapitals. Die Dividende könnte jedoch mit steigenden Einnahmen aus dem Finanzgeschäft zulegen, falls die Zinsen wie von einigen Analysten erwartet in nächster Zeit steigen sollten.

Dass die Inflation gerade deutlich anzieht, spricht für dieses Szenario. Zurich hat die Märkte außerdem hinsichtlich der pandemiebedingten Folgen für das Unternehmen beruhigt (in diesem Punkt zeigt sich die positive Seite der gescheiterten RSA-Übernahme). Aufgrund dieser beiden Faktoren sowie der Integration der P&C-Sparte von Metlife in den USA passt die Aktie bestens zu der Momentum-Strategie von MarketScreener.

Die mit einem Investment in Versicherungsaktien verbundenen Risiken sind bei allen großen Emittenten gleich: ein bürokratischer Überbau, der einen zu großen Teil der Prämieneinnahmen verschlingt, oder unzureichende Rückstellungen für unvorhergesehene Verluste. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor sind steigende Zinsen. In diesem Fall würden zwar die Erträge auf das verwaltete Vermögen in Höhe von 212 Milliarden US-Dollar beträchtlich steigen, andererseits könnte der Wert des Wertpapierportfolios deutlich sinken.

Die Versicherungsbranche ist zudem geprägt von sehr langen Zyklen, deren Entwicklung unmittelbar von den verfügbaren Kapazitäten abhängt - also vom Zugang zu Kapital, das als Sicherheit für neue Versicherungsabschlüsse zwingend erforderlich ist. Bei einem Überangebot an Kapazitäten, wie es in den letzten zehn Jahren der Fall war, steigt der Wettbewerbsdruck in der Branche. Dies hat sinkende Preise und rückläufige, mitunter sogar negative Margen zur Folge.

Ist Kapital hingegen knapp, beispielsweise infolge eingefrorener Kapitalmärkte oder nach mehreren aufeinanderfolgenden Mega-Katastrophen, lässt der Wettbewerbsdruck nach und die versicherungstechnische Rentabilität steigt wieder. Wenn es dem Versicherer dann noch gelingt, die noch nicht für Schadensfälle verwendeten Prämieneinnahmen (den sogenannten „Float“) mit hoher Rendite anzulegen, hat er alles richtig gemacht.

In welcher Zyklusphase sich die Branche gerade befindet, lässt Raum für Spekulationen. Zurich zählt zwar nicht immer zu den Musterschülern, macht aber gründlich seine Hausaufgaben: Die Gruppe ist bekannt für eine hohe Zeichnungsdisziplin – und verzichtet dafür erforderlichenfalls auch auf Wachstum.