--Ex-Wirtschaftsminister: Betrug war "einfach nicht vorstellbar"

--Treffen mit Merkel unter vier Augen

--Guttenberg hatte "eher bizarre" Zusammentreffen mit Braun

(NEU: weitere Aussagen)

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Der frühere Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat im Wirecard-Untersuchungsausschuss bestritten, mit seiner Beratungsfirma frühzeitig Kenntnis von den Betrugsvorgängen bei dem Finanzdienstleister gehabt zu haben, und sich als Opfer einer Irreführung dargestellt. "Wirecard hat uns alle getäuscht", betonte der ehemalige Wirtschafts- und frühere Verteidigungsminister. "Hätten wir gewusst, dass das Geschäftsmodell von Wirecard offenbar auf Betrug basierte, hätten wir dieses DAX-Unternehmen niemals beraten."

Sein Beratungsunternehmen Spitzberg Partners sei aber keine Staatsanwaltschaft und auch kein Wirtschaftsprüfer. Guttenberg betonte, er habe "zu keinem Zeitpunkt und in keiner Weise Zugang zu Indizien" für Bilanzbetrug oder Geldwäsche gehabt und sei von den Vorgängen "vollkommen überrascht" worden. "Einen solchen Betrug konnte man als Geschäftspartner ... nicht erahnen", erklärte er. "Das war einfach nicht vorstellbar."

Man hätte dann auch niemals Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) oder das Finanzministerium kontaktiert, betonte Guttenberg. "Ich habe zur Frau Bundeskanzlerin in all den Jahren, die wir uns kennen, ein außergewöhnlich großes professionelles und auch persönliches Vertrauen entwickelt. Ich würde dieses Vertrauen nie für einen Klienten aufs Spiel setzen."

Guttenberg ist einer von sieben Zeugen in der Sitzung. Er hatte als Berater mit seiner Firma vor Merkels Reise im Kanzleramt zugunsten von Wirecard antichambriert. In dem Ausschuss rückt damit verstärkt die Rolle der Politik in dem Skandal um den Zahlungsdienstleister ins Zentrum. Dabei geht es besonders um Merkels Rolle wegen des Engagements für Wirecard bei einer China-Reise im Herbst 2019. Im Zentrum steht aber auch das Agieren von Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt, der sich im Juni 2019 in Peking für Wirecard eingesetzt hatte.


   Sehr persönliches Treffen mit der Kanzlerin 

Guttenberg charakterisierte sein Treffen mit Merkel am 3. September 2019 als "sehr persönlichen" Austausch unter vier Augen über verschiedene Themen ohne Agenda, dessen Termin bereits länger festgestanden habe. "Ursprünglich hatte ich gar nicht geplant, die Bundeskanzlerin über Wirecard zu unterrichten", erklärte er. Mitarbeiter hätten ihn aber im Vorfeld darauf hingewiesen, dass ein Schritt von der Tragweite der von dem Unternehmen geplanten Akquisition in China der Unterstützung der politischen Spitze bedürfe.

Nachdem Merkel in dem Gespräch China erwähnt habe, habe er betont, dass ein Hinweis Merkels zu dem geplanten Markteintritt "für den Genehmigungsprozess sicherlich hilfreich sein" würde. Merkel habe erklärt, dies könnte in der Tat "hilfreich" sein, sich aber nicht festgelegt und dann auf ihren Wirtschaftsberater Jan-Hendrik Röller verwiesen. Die Frage, gegenüber welchem Gesprächspartner Merkel Wirecard letztlich bei ihrer China-Reise erwähnt habe, konnte Guttenberg nicht beantworten.

Hintergrund ist das damalige Vorhaben von Wirecard, den Zahlungsdiensteanbieter Allscore zu erwerben, das zwei Monate nach Merkels Besuch umgesetzt wurde. Guttenberg betonte bei seiner Anhörung die hohe Bedeutung dieser Akquisition. Allscore sei für den Markteintritt von Wirecard in China vor allem wegen seines "außerordentlich attraktiven Lizenzportfolios" interessant gewesen. Für Behauptungen, der Erwerb sei in der Betrugsstrategie nur ein Vehikel gewesen, um Scheinumsätze zu kaschieren, sah Guttenberg "keine Anhaltspunkte".

Zudem erklärte Guttenberg, der damalige Wirecard-Chef Markus Braun habe ihm bei Gesprächen auf die damals bekannten Vorwürfe hin versichert, dass das "uneingeschränkte Testat" der Prüfer erfolgen werde. Mit Braun habe es vier kurze, "eher bizarre Zusammentreffen" gegeben, berichtete er. So habe er es als "eher befremdlich" empfunden, dass ihm Braun in einem "erstaunlich entrückten Gespräch" am Rande einer Konferenz in München das Du angeboten habe. Ein letztes Treffen am 9. Juni 2020 sei auf sein Drängen wegen der "brodelnden Gerüchteküche" zustande gekommen. "Beim Abschied vermittelte er einen unerschütterlichen Optimismus", betonte Guttenberg.


   Frage nach den Geldflüssen 

Abgeordnete hatten direkt vor der Ausschusssitzung die Bedeutung der Vernehmung Guttenbergs für die Wirecard-Untersuchung betont. Dieser sei "Dreh- und Angelpunkt, um Muster darzulegen", sagte der Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk (AfD). Es gehe um die Beachtung von Compliance-Regeln. FDP-Finanzsprecher Florian Toncar stellte in den Mittelpunkt, "wie die Geldflüsse gelaufen sind". Den Erwerb von Allscore sah er als "Teil der Strategie von Markus Braun, sein Scheinwachstum zu kaschieren".

Auch der Grünen-Politiker Danyal Bayaz betonte, es sei genau die Strategie des Betrugs von Wirecard gewesen, "immer im Ausland Unternehmen dazuzukaufen, und da stellt sich natürlich auch die Frage der politischen Verantwortung seitens der Bundesregierung". Linke-Fraktionsvize Fabio De Masi nannte das Agieren der politisch Verantwortlichen "hoch fragwürdig".

Bei dem damaligen DAX-Unternehmen Wirecard waren im Juni Luftbuchungen von fast 2 Milliarden Euro öffentlich geworden, es befindet sich mittlerweile in einem Insolvenzverfahren. Ex-Chef Braun sitzt inzwischen in Haft, Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek ist flüchtig. Braun hatte bei seiner Vernehmung in dem Ausschuss die Antwort auf Fragen der Abgeordneten im Wesentlichen verweigert. Am Donnerstag sind unter anderem auch noch Schmidt und Röller sowie Hamburgs früherer Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) geladen.

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December 17, 2020 09:24 ET (14:24 GMT)