Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Mitglieder des Wirecard-Untersuchungsausschusses haben nach der Vernehmung von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zum Teil scharfe Kritik an dessen Aussagen und an der Rolle der Regierung in dem Skandal um den mittlerweile insolventen Finanzdienstleister geübt. "Der ehemalige CSU-Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat sich heute im Untersuchungsausschuss als Opfer des Wirecard-Märchens präsentiert", sagte der Obmann der SPD-Fraktion in dem Ausschuss, Jens Zimmermann. Auch er habe auf die uneingeschränkten Testate der Wirtschaftsprüfer vertraut.

"Seine Darstellung des Kontakts zur Kanzlerin mutete geradezu bizarr an", meinte Zimmermann. Derartige Aktivitäten seien ausdrücklich nicht Bestandteil seines Beratungsvertrags gewesen. Gleichwohl sei dieser Lobbyismus für den Eintritt in den chinesischen Markt unerlässlich gewesen. "Für diesen finanziell sehr lukrativen Lobbyismus hat Herr zu Guttenberg jedenfalls seine offenbar immer noch exzellenten Kontakte zur Bundeskanzlerin genutzt", kritisierte er.

Auf die Frage, warum er ausgerechnet im Frühjahr 2020 einen Namensartikel zum Thema Leerverkäufe veröffentlicht habe, während er gleichzeitig in die Beratung zur Öffentlichkeitsarbeit Wirecards eingebunden war, sei Guttenberg eine überzeugende Antwort schuldig geblieben. "Wer sich mit diesem Skandal gründlich befasst, glaubt eher nicht mehr an Zufälle", meinte Grünen-Obmann Danyal Bayaz dazu.

Es passe zum "Feldzug" des Wirecard-Vorstandes und leider auch der Finanzaufsicht Bafin gegen Leerverkäufer, dass Guttenberg wenige Wochen vor der geplanten Veröffentlichung der KPMG-Sonderuntersuchung bei Wirecard ein Plädoyer für ein generelles Leerverkaufsverbot veröffentlicht habe. Guttenberg habe "als ehemaliger Minister mit exklusiven Kontakten subtilen und effektiven Lobbyismus für Wirecard betrieben".


   Selbst kritische Stimmen ignoriert 

Die gesamten Umstände werfen nach seiner Überzeugung "kein gutes Licht auf die Regierungspraxis" und die Verlässlichkeit ihrer Urteile. "Offenbar war man derart eingenommen von der angeblichen Erfolgsgeschichte eines DAX-Konzerns, dass man selbst kritische Stimmen im Kanzleramt ignoriert hat." Der Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk (AfD) forderte über den Kurznachrichtendienst Twitter: "Das Kanzleramt braucht eine Protokollpflicht."

Guttenberg hatte bei seiner rund fünfeinhalbstündigen Vernehmung in dem Ausschuss bestritten, mit seiner Beratungsfirma Spitzberg Partners frühzeitig Kenntnis von den Betrugsvorgängen gehabt zu haben, und sich als Opfer einer Irreführung dargestellt. "Wirecard hat uns alle getäuscht", betonte er. "Hätten wir gewusst, dass das Geschäftsmodell von Wirecard offenbar auf Betrug basierte, hätten wir dieses DAX-Unternehmen niemals beraten." Er habe "zu keinem Zeitpunkt und in keiner Weise Zugang zu Indizien" für Bilanzbetrug oder Geldwäsche gehabt und sei von den Vorgängen "vollkommen überrascht" worden. "Das war einfach nicht vorstellbar", sagte Guttenberg.

In dem Ausschuss rückt verstärkt die Rolle der Politik in dem Skandal um den Zahlungsdienstleister ins Zentrum, bei dem im Juni Luftbuchungen von fast 2 Milliarden Euro öffentlich geworden waren. Dabei geht es besonders um die Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen des Engagements für Wirecard bei einer China-Reise im Herbst 2019. Guttenberg hatte zuvor als Berater mit seiner Firma vor Merkels Reise im Kanzleramt zugunsten von Wirecard antichambriert.

Bei der Ausschussanhörung charakterisierte der frühere Minister sein Treffen mit Merkel am 3. September 2019 als "sehr persönlichen" Austausch unter vier Augen über verschiedene Themen. Nachdem Merkel China erwähnt habe, habe er betont, dass ein Hinweis Merkels zu dem geplanten Markteintritt "für den Genehmigungsprozess sicherlich hilfreich sein" würde. Die Frage, gegenüber welchem Gesprächspartner Merkel Wirecard letztlich bei ihrer China-Reise erwähnt habe, konnte Guttenberg nicht beantworten.

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December 17, 2020 11:30 ET (16:30 GMT)