-- Braun beruft sich auf Aussageverweigerungsrecht

-- Aussage gegenüber Staatsanwaltschaft angekündigt

-- Ausschussmitglieder reagieren mit starker Kritik

-- Ex-Aufsichtsrätin: Wirecard hemdsärmelig geführt

(NEU: weitere Aussagen, Reaktionen)

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Ex-Wirecard-Chef Markus Braun hat bei seiner Zeugenvernehmung im Untersuchungsausschuss des Bundestages eine Erklärung abgegeben und ansonsten in der Sitzung im Wesentlichen keine weiterführenden Fragen der Abgeordneten beantwortet. "Ich berufe mich derzeit auf mein umfassendes Aussageverweigerungsrecht nach Paragraph 22 Absatz 2 PUAG, was bedeutet, dass ich Ihnen heute auch keine weiteren Fragen beantworten werde", sagte Braun in der Erklärung, die er zu Beginn verlas. Auf Nachfragen nahm er dazu lediglich Präzisierungen vor.

Braun kündigte an, zunächst Aussagen gegenüber der Staatsanwaltschaft München 1 vornehmen zu wollen. "Ich werde mich zeitnah zu den verfahrensrelevanten Sachverhalten persönlich äußern", erklärte er. Dies werde er "zunächst und vorrangig gegenüber der Staatsanwaltschaft München 1 tun". Auf die Frage nach dem Zeitpunkt dieser Aussage erklärte er zunächst: "Das ist nicht an mir zu entscheiden, das ist an der Staatsanwaltschaft zu entscheiden." Die weitere Frage, ob dies bedeute, dass er "morgen bereit" wäre, eine Aussage bei der Staatsanwaltschaft zu tätigen, beantwortete er mit "Ja".

Braun betonte, er habe sich bisher nicht persönlich gegenüber dieser geäußert, seine Kooperation aber bereits zu Beginn des Verfahrens angeboten. "Dazu stehe ich auch heute noch." Der Ex-Wirecard-Chef schloss nicht aus, nach seiner Äußerung gegenüber der Staatsanwaltschaft die dort gemachten Angaben vor dem Ausschuss zu "ergänzen". Dies müsse aber zu gegebener Zeit geprüft und auch in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft entschieden werden.

"Ich vertraue in die Unabhängigkeit und Objektivität der Ermittlungsbehörden, ich vertraue insbesondere darauf, dass die Staatsanwaltschaft München 1 den verfahrensrelevanten Sachverhalt umfassend aufklärt, und damit meine ich auch besonders den Verbleib der veruntreuten Unternehmensgelder", sagte er. Die Nachfrage, ob dieser Begriff "bewusst gewählt" worden sei, beantwortete Braun mit "Ja" und betonte: "Da haben Sie mich sehr richtig verstanden." Am Ende würden unabhängige Gerichte entscheiden, wer die rechtliche Verantwortung für den Zusammenbruch von Wirecard trage.


 
Braun nimmt Behörden in Schutz 

Mit Blick auf politische Kontakte betonte der langjährige Vorstandsvorsitzende des insolventen Finanzdienstleisters, er habe aus seiner Wahrnehmung "zu keiner Zeit Feststellungen getroffen oder auch nur Hinweise erhalten", dass sich Behörden, Aufsichtsstellen oder Politiker nicht korrekt, pflichtwidrig oder in irgendeiner Form unlauter verhalten hätten. Das gelte auch für den Aufsichtsrat oder die Wirtschaftsprüfer, die offenbar "massivst getäuscht" worden seien. Im Aufsichtsrat habe es aus seiner Sicht "keine Pflichtverletzung" gegeben und die Bemerkung zu den Prüfern "hat sich auf EY bezogen", konkretisierte er auf Nachfrage. "Das kann ich bestätigen."

Braun nannte es "nicht nachvollziehbar", warum externe Aufsichtsstellen, die viel weiter weg seien, hier Versäumnisse zu verantworten haben sollten. Ansonsten verweigerte Braun den Abgeordneten immer wieder Antworten auf ihre Fragen. "Ich werde mich gegenüber der Staatsanwaltschaft äußern, ich werde mich hier heute nicht zu dem Sachverhalt äußern", betonte er. "Ich möchte mich heute strikt an mein Statement halten", sagte Braun mehrfach. Auch die Frage, ob er eine Tochter habe, oder die nach dem Titel seiner Doktorarbeit beantwortete Braun nicht.

Ausschussmitglieder übten nach der Sitzung starke Kritik an Brauns Verhalten. Der Vorsitzende des Gremiums, Kay Gottschalk (AfD), sprach von einem "sehr enttäuschenden Auftritt", der aber ins Bild passe. Es werde nun die Möglichkeit eines Ordnungsgeldes geprüft. "Herr Dr. Braun hat uns gezeigt, dass er nach wie vor auf einem sehr hohen Ross sitzt", ergänzte Vize-Ausschusschef Hans Michelbach (CSU).

FDP-Finanzsprecher Florian Toncar bewertete Brauns Aussageverhalten als "destruktiv" und erklärte, er verfolge offenbar eine "Einzeltäterthese". Grünen-Finanzexperte Danyal Bayaz sagte, Braun habe "eine Chance verpasst". Linke-Fraktionsvize Fabio De Masi äußerte Zweifel am Wert der positiven Äußerungen Brauns zu den Behörden und Prüfern, da Braun "absolut unglaubwürdig" sei. "Ich habe heute die lebendigste Mumie erlebt, der ich je in meinem Leben begegnet bin", stellte er fest.


 
Umringt von Sicherheitsbeamten 

Braun musste erscheinen, nachdem der Bundesgerichtshof Anträge dagegen zurückgewiesen hatte. Der Österreicher wurde von Sicherheitsbeamten aus der Untersuchungshaft in Bayern nach Berlin gebracht. Die Abgeordneten hatten sich von seiner Befragung auch Aufschluss über politische Kontakte erhofft. Die Opposition hat unter anderem weitere Aufklärung über Treffen Brauns mit Finanzstaatssekretär Jörg Kukies verlangt, so eines am 5. November 2019, Brauns 50. Geburtstag.

Bei einer nachfolgenden Vernehmung betonte die frühere Aufsichtsrätin Tina Kleingarn, Wirecard als aufstrebendes Wachstumsunternehmen sei "hemdsärmelig geführt" worden, und die Strukturen hätten "mehr denen eines Startups" entsprochen. Sie sei nach 18 Monaten im September 2017 wegen unvereinbarer Vorstellungen von Corporate Governance zurückgetreten. "Trotz der damaligen Erfolgsgeschichte des Unternehmens wollte ich diese Governance nicht verantworten", erklärte Kleingarn. "Während meiner anderthalbjährigen Amtszeit habe ich mir nicht vorstellen können, dass die Vorstände der Wirecard AG in betrügerische Verhaltensweisen involviert sein könnten."

In dem Skandal ist auch die Rolle der Politik und der Finanzaufsicht ins Zentrum gerückt. Die Behörden stehen in der Kritik, weil sie die Unregelmäßigkeiten zu spät aufgedeckt hätten. Bei dem damaligen DAX-Unternehmen Wirecard waren im Juni Luftbuchungen von fast 2 Milliarden Euro öffentlich geworden, es befindet sich inzwischen in einem Insolvenzverfahren, Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek ist weiterhin flüchtig. Die Staatsanwaltschaft München wirft den Beschuldigten gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue, unrichtige Darstellung und Marktmanipulation vor.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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November 19, 2020 11:56 ET (16:56 GMT)