BERLIN (dpa-AFX) - Mögliche Sabotage, Eklat, Verhöhnung des Ausschusses: Es sind deftige Vorwürfe, denen sich am Donnerstag das Finanzministerium unter Ressortchef Olaf Scholz (SPD) ausgesetzt sah. Was war passiert? Das Ministerium hatte dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Bilanzbetrugsskandal bei Wirecard zusätzliche Akten erst kurzfristig geliefert - und das vor Befragungen von Vertretern der Finanzaufsicht Bafin, die in dem Skandal schwer in der Kritik steht. Staatssekretäre des Finanzministeriums wurden in den Ausschuss zitiert und versuchten, die Vorwürfe zu entkräften.

Opposition sowie Union waren dennoch aufgebracht, von einem "Eigentor" des Ministeriums und einem "versuchten Foulspiel" gegenüber dem Untersuchungsausschuss war die Rede. Es gebe keine Möglichkeit, die Akten so kurzfristig noch umfassend zu sichten. Möglicherweise befänden sich in den Ordnern noch wichtige Hinweise zur Rolle der Bafin - der Finanzaufsicht wird vorgeworfen, den mutmaßlichen Milliarden-Betrug bei Wirecard zu spät erkannt zu haben.

Ein Sturm der Entrüstung brach los: "Es entsteht der Eindruck, dass das Bundesfinanzministerium die Aufklärung und Arbeit des Untersuchungsausschusses sabotieren möchte", wetterte Grünen-Obmann Danyal Bayaz. Linke-Obmann Fabio de Masi sagte: "Es ist eine Verhöhnung des Untersuchungsausschusses, über 100 Aktenordner zur Leitungsebene der Bafin wenige Stunden vor den Zeugenvernehmungen zu liefern."

FDP-Obmann Florian Toncar schimpfte: "Olaf Scholz wird nicht müde, nach außen seinen Aufklärungswillen zu betonen. In der Realität ist davon nicht viel zu spüren." Auch in der Union herrschte Empörung. Der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach sprach von einem Eklat.

SPD-Obmann Jens Zimmermann versuchte zwar, den Ball flach zu halten, sagte aber zugleich: "Es ist natürlich ein ärgerlicher Vorgang." Bisher sei die Zusammenarbeit mit den Vertretern der Bundesregierung professionell und konstruktiv gewesen.

In einer nicht-öffentlichen Befragung im Ausschuss wiesen die herbeizitierten Finanzstaatssekretäre Sarah Ryglewski und Werner Gatzer den Vorwurf zurück, das Ministerium habe Akten bewusst zurückgehalten, wie Teilnehmer berichteten. Die Staatssekretäre verwiesen darauf, dass für einige Ordner die Freigabe der britischen Finanzaufsicht FCA erst sehr spät erfolgt sei. Auch die Einstufung von Akten habe längere Zeit gedauert.

Gatzer habe zugleich bedauert, dass die Lieferung von Akten sehr kurzfristig erfolgt sei, hieß es. Dies hätte vom Ministerium besser kommuniziert werden können. Man werde alles daran setzen, alle restlichen Akten bis Ende nächster Woche zu liefern.

Das Finanzministerium erklärte, es informiere den Ausschuss "sorgfältig, detailliert und so zügig wie möglich". Insgesamt seien in den vergangenen Wochen und Monaten bereits über 1000 Ordner vom Ministerium übersandt worden. Zum Beweisbeschluss, der die Leitungsebene der Bafin betreffe, seien bereits weit über 100 Ordner zur Verfügung gestellt worden.

Damit ist das Ganze aber noch nicht vorbei. Zwar sagte SPD-Vertreter Zimmermann, Ryglewski und Gatzer hätten Licht ins Dunkel bringen können. Der Opposition gingen seit Wochen die Themen aus, sie ziehe sich deswegen an dem Akten-Vorgang hoch.

Doch das sieht man in der Opposition naturgemäß ganz anders. Viele Fragen seien offen. Gatzer wurde für Freitagmorgen erneut in den Ausschuss bestellt, um weitere Informationen zu liefern, wie es hieß. Danach werden Bafin-Chef Felix Hufeld und Bafin-Vize Elisabeth Roegele erwartet - beide sind bald nicht mehr im Amt, sie müssen im Zuge des Skandals ihre Posten räumen.

Für das Finanzministerium, das die Aufsicht über die Bafin hat, war es bisher eigentlich gut gelaufen in dieser Woche. Der bisherige Chef der Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma, Mark Branson, wurde zum neuen Bafin-Präsidenten berufen. Auch bei der Opposition kam das gut an.

Das Ziel von Scholz ist es, der Bafin nach dem Wirecard-Skandal im Zuge eines Umbaus mehr Biss zu geben. Der Finanzminister selbst muss im April noch aussagen vor dem Untersuchungsausschuss - der herausfinden soll, warum der Skandal bei Wirecard über Jahre nicht aufflog und ob das Unternehmen als aufstrebendes Fintech von den Behörden mit Samthandschuhen angefasst wurde.

Der frühere Dax-Konzern war ein Dienstleister für bargeldlose Zahlungen an der Schnittstelle zwischen Händlern und Kreditkartenfirmen. Im Sommer räumte Wirecard ein Bilanzloch von 1,9 Milliarden Euro ein und meldete Insolvenz an.

Wegen der verzögerten Lieferung der Akten wackle nun der Zeitplan des Untersuchungsausschusses, hieß es in der Opposition. Eigentlich soll bis Ende April die Zeugenbefragung beendet und danach der Abschlussbericht erstellt werden - Ende September wird ein neuer Bundestag gewählt. Toncar sagte nun: "Wenn sich das Verhalten der Bundesregierung nicht grundlegend ändert, wird sich der Untersuchungsausschuss bis in den Sommer ziehen." Das dürfte der SPD im Wahlkampf mit Kanzlerkandidat Scholz nicht gelegen kommen./hoe/DP/jha