Mit Blick auf die nahe Zukunft ist häufig von Stagflation die Rede. Das hiesse, die Wirtschaft würde kaum mehr wachsen bei gleichzeitig erhöhter Inflation. Als Beispiel dient dabei die Entwicklung in den 1970er und frühen 1980er Jahren. Die damalige Situation kann zwar nur bedingt auf die aktuelle Lage übertragen werden. Doch lohnt sich der Blick in die Vergangenheit, um daraus Erkenntnisse für die aktuelle Situation zu ziehen.

Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass damals die Wachstumsraten starken Schwankungen unterlagen. In den USA war eine Boom-Bust-Phase zu beobachten: Im Anschluss an den ersten Ölpreisschock im Herbst 1973 kam es zu einem massiven Einbruch der US-Wirtschaft, aber schon in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurden wieder Wachstumsraten von über 6 % beim Bruttoinlandprodukt (BIP) verzeichnet. Anfang der 1980er Jahre brach die Wirtschaft erneut in kurzer Folge zwei Mal ein. Die eigentliche Stagnation betraf den Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote lag in den USA zwischen 1974 und 1985 bei durchschnittlich 7.3 %.

Die wirtschaftliche Entwicklung wurde massgeblich von den geldpolitischen Entscheidungen der US-Notenbank geprägt. Nach dem ersten Ölpreisschock reagierte die Fed unter dem damaligen Präsidenten Arthur Burns zu lax. Ende der 1970er Jahre musste dann dessen Nachfolger, Paul Volcker, das geldpolitische Ruder umso deutlicher herumreissen, was in Kombination mit dem zweiten Ölpreisschock schliesslich in der Doppelrezession 1980 und 1982 mündete. Besser fuhren zum damaligen Zeitpunkt die Deutsche Bundesbank und die Schweizerische Nationalbank, die nach dem ersten Ölpreisschock der Inflationsbekämpfung eine höhere Priorität zuordneten.

Rezessionsgefahren

Die Ausgangssituation ist heute eine andere. Die Weltwirtschaft leidet immer noch unter den Folgen der Corona-Pandemie. Nicht funktionierende Lieferketten belasten die Industrieproduktion. Wegen des Kriegs in der Ukraine kommen erschwerend höhere Energiepreise hinzu. Die Ölpreise haben sich binnen Jahresfrist verdoppelt, am europäischen Gasmarkt sind die Preise auf zuvor nie gekannte Höhen angestiegen. Am wichtigen niederländischen Markt haben sich die Gaspreise gegenüber dem ansonsten recht trägen Niveau der vergangenen Jahre rund versiebenfacht.

Die Fed hat aus den Fehlern der 1970er Jahre gelernt und strafft die Geldpolitik zügig. Im laufenden Jahr sind neben der im März erfolgten Zinserhöhung um 25 Basispunkte weitere sieben Zinsschritte zu erwarten. Gleichzeitig wird in den kommenden Monaten mit der Reduktion der Bilanzsumme begonnen. Der Liquiditätsentzug wird im laufenden Jahr beachtlich sein. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) möchte bis zum Ende des dritten Quartals ihre Wertpapierkäufe einstellen. Danach könnten ebenfalls Zinserhöhungen erfolgen.

Die wirtschaftliche Situation hat sich also mit Ausbruch des Krieges und dem dadurch ausgelösten weiteren Energiepreisanstieg deutlich verändert. In Europa sind die Rezessionsrisiken mittlerweile hoch. Wichtige Konjunkturvorlaufindikatoren sind eingebrochen. Die industrielastige europäische Wirtschaft leidet unter einem Ölpreis, der in Euro gerechnet auf Allzeithoch notiert. Zusätzlich hat sich die Lieferkettenproblematik nochmals verschärft, denn die Ukraine ist integraler Lieferkettenbestandteil der Automobilwirtschaft. Da gleichzeitig die Omikron-Variante des Corona-Virus zu Lockdowns in China führt, fehlen auch wichtige Vorprodukte aus Fernost. In den USA sieht die Situation noch etwas besser aus. Die aus eigenen Ressourcen stammende Öl- und Gasversorgung und die nur sehr geringe wirtschaftliche Abhängigkeit vom Osten Europas mildert die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs.

ifo-Geschäftserwartungen für das verarbeitende Gewerbe und BIP

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VP Bank AG published this content on 30 March 2022 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 30 March 2022 10:34:06 UTC.