Berlin (Reuters) - Im Diesel-Verfahren gegen Volkswagen stuft der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) sogenannte Thermofenster bei der Abgasreinigung grundsätzlich als gesetzwidrig ein.

Die von dem Autobauer verwendete Automatik, bei der die Abgasreinigung außerhalb eines vorgegebenen Temperaturbereichs und ab einer bestimmten Höhenlage gedrosselt wird, verstoße gegen europäische Gesetze, erklärte Generalanwalt Athanasios Rantos am Donnerstag in seinem Schlussplädoyer. Eine solche Einrichtung könne nicht mit dem Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und dem sicheren Betrieb des Fahrzeugs gerechtfertigt werden, wenn sie vornehmlich der Schonung von Bauteilen diene.

Ein VW-Sprecher erklärte, nach den Kriterien, die der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen aufgestellt habe, blieben die in den Fahrzeugen des VW-Konzerns verwendeten Thermofenster weiterhin zulässig: "Sie haben den Zweck, solche plötzlichen und unmittelbaren Risiken einer Beschädigung des Motors zu verhindern." Klagen gegen die Hersteller auf deliktischen Schadenersatz wegen der Verwendung von Thermofenstern hätten daher weiterhin keine Aussicht auf Erfolg.

GENERALANWALT HÄLT TEMPERATURBEREICH NICHT FÜR REPRÄSENTATIV

Drei österreichische Gerichte hatten den EuGH um Klarheit gebeten. In dem Fall geht es um Software, die bei Dieselfahrzeugen die Abgasreinigung bei bestimmten Temperaturen und einem bestimmten Luftdruck abschaltet. VW führt an, dass dies nötig ist, um Motorschäden zu verhindern. Auch der Generalanwalt erklärt, dass Thermofenster dann gerechtfertigt sein könnten, wenn etwa eine Fehlfunktion eines Ventils verhindert werden solle, die sich abrupt auf den Betrieb des Motors selbst auswirke, ohne dass diese Folgen durch eine regelmäßige und sachgemäße Wartung verhindert werden könnten. Details müssten nun die nationalen Gerichte klären. In diesem Zusammenhang verwies der Generalanwalt darauf, dass ein Gericht schon bemerkt habe, es lasse sich nicht feststellen, ob die Abschalteinrichtung erforderlich sei, um den Motor des Fahrzeugs vor Beschädigung zu schützen.(AZ: C134/20)

Auch die Ausgestaltung der Thermofenster stieß auf die Kritik. Die Einstellungen seien nicht repräsentativ, erklärte Rantos. Die Steuerung greift bei einer Außentemperatur unter 15 und über 33 Grad sowie bei Fahrten im Gebirge über 1000 Höhenmetern und drosselt oder stoppt die Abgasreinigung. Die Durchschnittstemperaturen der Jahre 2017 bis 2019 in Österreich, Deutschland und anderen europäischen Staaten hätten aber deutlich unter 15 Grad gelegen. Aufgrund der Topografie Österreichs und Deutschlands führen die Autos zudem häufig in Höhen von mehr als 1000 Metern. Die in Rede stehende Software verringere daher bei normalen Nutzungsbedingungen und normalem Fahrzeugbetrieb die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems und stelle eine "Abschalteinrichtung" dar. Ein VW-Sprecher erklärte, bei modernen Dieselmotoren werde die Abgasrückführung nur noch bei absoluten Extremtemperaturen reduziert. "Im realen Fahrbetrieb kommt das Thermofenster in diesen Fällen de facto nicht mehr zum Einsatz." Die Richter am EuGH folgen häufig der Argumentation des Generalanwalts, sind aber nicht daran gebunden. (AZ. C-128/20, C-134/20 und C-145/20)

Die Richter am EuGH hatten erst im Dezember ein wegweisendes Urteil zur Verwendung von Abgas-Software bei Dieselautos gesprochen. Sie entschieden, das generelle Verbot einer Software zur Abgasmanipulation werde ausgehöhlt, wenn es durch Ausnahmeregelungen möglich wäre, den Motor dadurch vor Verschmutzung und Verschleiß zu schützen. Die Hersteller nutzten Lücken im EU-Recht aus, indem sie die Abgasreinigung von Dieselmotoren bei kühlen Temperaturen drosseln oder ganz abschalten. Fast alle Autobauer verwenden Thermofenster und argumentieren dafür mit dem Motorschutz.