Hamburg/Frankfurt (Reuters) - Volkswagen beschleunigt die Entwicklung von selbstfahrenden Autos und bündelt dazu seine Kräfte mit dem weltgrößten Autozulieferer Bosch.

Die Software-Tochter Cariad des Wolfsburger Autobauers und der Stuttgarter Technologiekonzern gaben am Dienstag eine umfassende Partnerschaft bekannt, mit der VW bereits im nächsten Jahr erste automatisierte Fahrfunktionen für eine große Zahl an Kunden anbieten will. Ziel der auf Zeit angelegten Partnerschaft ist es, mit einer gemeinsamen Software-Plattform Standards zu setzen, die auch andere Firmen übernehmen und dafür bezahlen.

"Wir wollen teil- und hochautomatisiertes Fahren serientauglich und damit einer breiten Kundenbasis zugänglich machen", sagte Cariad-Chef Dirk Hilgenberg in einer Telefonkonferenz mit Bosch. Die gemeinsame Entwicklung solle die Markteinführung erheblich verkürzen.

Für Volkswagen ist die Partnerschaft ein wichtiger Schritt beim Wandel zu einem Mobilitätskonzern, der sein Geld neben dem Verkauf von Autos auch mit Dienstleistungen und Software verdient. Konzernchef Herbert Diess, der im Vorstand vor Kurzem die Verantwortung für die Softwaretochter übernommen hatte, sprach von einem wichtigen Meilenstein. "Wir erwerben das geistige Eigentum und die Fähigkeiten, unsere eigene Software zu entwickeln", erklärte Diess.

TESLA DROHT ZU ENTEILEN

Hilgenberg verwies auf Prognosen von Beratungsunternehmen wie McKinsey und Boston Consulting, wonach zur Mitte des Jahrzehnts etwa 60 Prozent der Fahrzeuge Assistenzsysteme an Bord haben werden. Schnelligkeit sei entscheidend, um bei der wachsenden Konkurrenz mit vorne dabei zu sein, betonte Hilgenberg. Der US-Elektroautobauer Tesla sammelt mit seiner rasch wachsenden Flotte an E-Autos schon seit einigen Jahren Daten und droht der Konkurrenz zu enteilen. Volkswagen verspricht sich von der Zusammenarbeit mit Bosch, den Rückstand in den nächsten Jahren aufholen zu können.

Die Wolfsburger profitieren dabei vom Know-how, das Bosch bereits auf dem Gebiet erarbeitet hat. Umgekehrt erschließen sich die Stuttgarter die enormen Datenmengen, die Millionen von Autos von Volkswagen generieren. "Für die Entwicklung des automatisierten Fahrens ist die beste Schule der echte Straßenverkehr", erläuterte Boschs Softwarechef Mathias Pillin. "Wir gewinnen mithilfe einer der größten vernetzen Fahrzeugflotten weltweit eine riesige Datenbasis, um automatisierte Fahrsysteme auf eine neue Stufe zu bringen." Bosch pocht dabei auf eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Die Idee sei, dass man gemeinsam ein System entwickele, das Cariad zunächst in die Fahrzeuge des Volkswagen-Konzerns einbringe. Bosch werde nach einer gewissen Zeit in der Lage sein, die Technik auch an andere Kunden zu verkaufen, sagte Pillin.

Erste Funktionen wie der automatische Spurwechsel sollen in VW-Modellen 2023 eingeführt werden. Danach folgen die anderen Marken des Konzerns. Ein erster Schritt soll teilautomatisiertes Fahren (Level 2) sein, bei dem der Fahrer die Hände zeitweise vom Lenkrad nehmen kann. Danach folgt "Level 3", bei dem die Technik auf Autobahnen zeitweise die Kontrolle übernehmen kann. Auch komplett fahrerloses Fahren auf festgelegten Strecken - nach weltweit gültiger Definition die vierte und vorletzte Automatisierungsstufe - wollen Bosch und Cariad in Angriff nehmen. Sie planen, mehr als 1000 Fachleute aus beiden Häusern an der Software arbeiten zu lassen.

Bosch hatte bis zum vergangenen Jahr an einem ähnlichen Großprojekt mit Daimler gearbeitet. Um Kosten zu teilen und Know-how zu bündeln, hatten die beiden Stuttgarter Unternehmen ab 2018 an der Entwicklung von Robotaxis mit Testflotten in den USA getüftelt. Daimler hatte Ende 2019 Mittel dafür gestrichen, weil dem Autobauer der Kapitalbedarf zu hoch und die Gewinnaussichten zu unsicher waren. Im vergangenen Jahr wurde die Kooperation beendet. Im Dezember gab Daimlers Pkw-Tochter Mercedes-Benz bekannt, als erster Hersteller weltweit grünes Licht zum Einsatz hochautomatisierten Fahrens zu haben und es in Deutschland im Luxusmodell S-Klasse im ersten Halbjahr einzuführen.