WOLFSBURG (dpa-AFX) - Das erste Halbjahr war wie von VW-Konzernchef Herbert Diess gemalt: Die Verkäufe legten stark zu gegenüber dem vom Lockdown belasteten Vorjahr, die Gewinne sprudelten trotz Lieferengpässen bei Elektronikchips. Hinzu kamen große Pläne rund um die Elektrostrategie der Wolfsburger samt Batteriezellwerken und schnellem Hochlauf des Verkaufs von Batterieautos, welche die Aktie in lange nicht gekannte Höhen trieben. Doch nun stockt es: An allen Ecken und Enden fehlt es an Teilen, und auch in China kommen die Elektroverkäufe nur langsam in Gang. Ob VW den Einfluss der Probleme auf die Bilanz auch diesmal weitgehend im Rahmen halten konnte, werden die Quartalszahlen an diesem Donnerstag (28. Oktober) zeigen.

DAS IST LOS IM UNTERNEHMEN:

Bereits seit Ende letzten Jahres sorgen fehlende Elektronikchips immer wieder für Produktionsausfälle bei VW, aber auch bei anderen Autobauern. Im dritten Quartal fielen die Verkaufszahlen dann bei den Wolfsburgern aber sehr deutlich unter das Vorjahresniveau. In den Monaten Juli bis September lieferte der Konzern 1,97 Millionen Fahrzeuge an die Kunden aus und damit rund ein Viertel weniger als vor einem Jahr.

Insbesondere der sonst so wachstumsstarke und größte Markt China schwächelte mit einem Minus von mehr als einem Drittel. In der Volksrepublik traten die Engpässe bei Halbleitern noch deutlicher zutage als anderswo. In Südostasien waren unter anderem in Malaysia Chipfabriken wegen Corona-Lockdowns vorübergehend dichtgemacht worden.

Und nicht nur das: Anleger sorgen sich mitunter recht deutlich um den Anlauf der wichtigen ID-Modellfamilie in dem Land, denn die wollte anfangs nicht recht in Fahrt kommen. Nach dem dritten Quartal dann gab VW so etwas wie Entwarnung: In den drei Monaten habe VW das Tempo deutlich beschleunigt und in China 28 900 reine Elektroautos ausgeliefert und damit mehr als im ersten Halbjahr. Um auf das Jahresziel von 80 000 bis 100 000 Fahrzeugen der ID-Modelle 3 und 4 zu kommen, fehlen damit aber noch mindestens gut 30 000 Autos.

Nach neun Monaten steht VW weltweit nun bei 293 100 verkauften Batterie-Autos - im Gesamtjahr sollten es laut Analysten ursprünglich 600 000 werden. Ob das noch zu schaffen ist, wird einer der spannenden Punkte zur Zahlenvorlage in dieser Woche. Die Zeit drängt: Der große Elektrorivale Tesla will noch in diesem Jahr in seinem Werksneubau in Grünheide bei Berlin die ersten Autos des Model Y vom Band laufen lassen - sprichwörtlich vor der Nase des deutschen Autoriesen. Auch das importierte Tesla Model 3 erfreut sich in der Heimat von VW immer größerer Beliebtheit.

Das Preisumfeld auf den Automärkten dürfte dem VW-Konzern hingegen in die Karten spielen - sowohl bei Neu- wie auch bei Gebrauchtwagen. Denn die langen Lieferzeiten der Autos und die tendenziell hohe Nachfrage haben den Rabattschlachten früherer Jahre ein Ende bereitet. Leasingrückläufer können am Markt zu höheren Preisen verkauft werden als gedacht. Das ließ in den ersten sechs Monaten die Ergebnisse aufblühen. Allerdings stehen auf der Gegenseite nun wohl höhere Rohstoffkosten und andere anziehende Preise. Finanzchef Arno Antlitz hatte bereits angekündigt, dass diese im zweiten Halbjahr belasten würden.

In den kommenden Monaten werden auch noch mehrere richtungweisende Entscheidungen aus Wolfsburg erwartet. Zum Beispiel, wo die restlichen Batteriezellwerke in Europa gebaut werden sollen, die noch nicht in trockenen Tüchern sind. Zudem steht im November wieder die traditionelle Budgetrunde an, in der VW die Investitionsausgaben der kommenden fünf Jahre auf die Werke verteilt. Erst kürzlich gab es wieder Diskussionen über angebliche Überlegungen des VW-Chefs zu weiteren Kostensenkungen über massiven Arbeitsplatzabbau - was spätestens dann in der Budgetrunde wieder Thema werden dürfte.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

RBC-Analyst Tom Narayan hielt es nach den Auslieferungszahlen für das dritte Quartal für möglich, dass VW es noch schafft, 600 000 Batterieautos und zusätzlich 400 000 Plug-in-Hybride zu verkaufen, um wie geplant auf insgesamt eine Million elektrifizierte Fahrzeuge in diesem Jahr zu kommen. China sei mit dem Verkaufserfolg im abgelaufenen Jahresviertel wieder in der Spur. Audi und Porsche verwiesen dem Fachmann zufolge die Konkurrenz aus dem Hause Tesla im Premiumbereich (Model S und Model X) auf die Plätze.

NordLB-Analyst Frank Schwope wertete den Auslieferungseinbruch insgesamt als alarmierend, dürfte er sich doch in den kommenden Monaten fortsetzen. Getreu dem Motto "Porsche statt Polo" die vorhandenen Chips in die höherwertigen Modelle einzusetzen und damit auch die Preise nach oben zu treiben - das würden Konzerne wie VW und Daimler im zweiten Halbjahr kaum wie bisher fortsetzen können. Für die batterieelektrischen Auslieferungen rechnet er beim Volkswagen-Konzern 2021 mit zwischen 400 000 und 500 000 Stück. Erst 2023 dürfte VW bei den insgesamt ausgelieferten Autos zu alter Stärke zurückkehren und dann wieder rund 11 Millionen Autos an die Kundschaft bringen.

Goldman-Sachs-Analyst George Galliers rechnet mit einem eher schwachen Zahlenwerk für das dritte Quartal. Nach der operativen Marge von 8,8 Prozent im ersten Halbjahr dürften es im vergangenen Dreimonatszeitraum nur 4,6 Prozent gewesen sein - allerdings liege die Marktschätzung etwas darüber. Die VW-Kernmarke VW Pkw sei wohl operativ in die roten Zahlen gefahren, Skoda dagegen nur leicht über der Gewinnschwelle geblieben. Während die nackten Zahlen wohl schwach ausfallen würden, sei aber der neue Schwung bei den Elektroautos positiv zu werten.

Das Gesamtbild der von dpa-AFX seit August erfassten Analystenstimmen spricht eine klare Sprache. 12 von 14 Experten empfehlen den Kauf der im Dax notierten Vorzugspapiere, der Rest ist neutral. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei knapp 274 Euro - also fast 70 Euro über dem aktuellen Kurs.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Aktie hat in diesem Jahr bereits viel Höhenluft geschnuppert, musste dem aber auch wieder Tribut zollen. Mit der Euphorie um die Batterie- und Elektropläne und mit der Spekulation um einen möglichen Börsengang der Sportwagentochter Porsche hatte VW beim Börsenwert im Frühjahr sogar den Dax-Primus SAP überholt und auf die Plätze verwiesen. Das lag daran, dass am Aktienmarkt vorwiegend - insbesondere von US-Profiinvestoren - auf die Stärke im künftigen Geschäft mit Elektroantrieben geschaut wurde, und da hatte Konzernchef Diess im Frühjahr das große Besteck aufgetischt.

Die Vorzugsaktie kletterte von Anfang des Jahres mit gut 150 Euro bis Mitte März auf ein Hoch von über 252 Euro, ein Plus von rund zwei Drittel. Die Stammaktie trieb es ausgehend von 170 Euro sogar bis auf fast 368 Euro in die Höhe, womit sie sich mehr als verdoppelte. Der Börsenwert von VW - spätestens seit dem Ausbruch des Dieselskandals im Herbst 2015 unter Druck - schwoll wieder auf 150 Milliarden Euro an.

Die Stammaktien des Konzerns liegen mehrheitlich bei der Holding Porsche SE der Eigentümerfamilien Porsche und Piëch. Die VW-Dachgesellschaft zog kürzlich in den auf 40 Mitglieder vergrößerten Dax ein. Die Holding hält 53,3 Prozent der stimmberechtigten VW-Stammaktien und 31,4 Prozent der Kapitalanteile.

Konservieren konnte das Management den Höhenflug der Aktie bis dato nicht. Im September tauchte der Kurs der Vorzugstitel wieder unter 200 Euro ab, RBC-Experte Narayan führte das auf die Sorgen rund um das Abschneiden beim Verkauf rein elektrischer Autos in China zurück. China gehört zu den größten Pkw-Märkten weltweit und Volkswagen ist dort Marktführer. Es gilt also viel zu verlieren, wenn der Konzern bei Elektroautos in die Zange genommen wird - im Premiumsegment unter anderem von Tesla, und im Massenmarkt von den vielen chinesischen Elektrofirmen. Umso wichtiger, dass die Elektrooffensive in der Volksrepublik sitzt.

Aktuell bringt der VW-Konzern an der Börse knapp 130 Milliarden Euro auf die Waage. Zum Vergleich: Tesla ist nach der jüngsten Kursrally in den Club der Billionen-Dollar-Firmen aufgestiegen und kommt umgerechnet auf rund 880 Milliarden Euro./men/lew/he